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Meinung zu Idee von Bundesparlamentskommission

Die angedachte «vorgezogene Retourengebühr» für den Online-Versandhandel ist ein ausgemachter Unsinn

Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats (UREK-S) möchte die Umweltbelastung durch den Onlinehandel reduzieren. Ihr Vorschlag führt aber bloss zu bürokratischem Mehraufwand — und möglicherweise gar zu mehr Müll.

Thomas Baumann am 03. Dezember 2023

Die parlamentarische Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) in Bern möchte das «Verursacherprinzip bei Retouren im Online-Versandhandel gewährleisten». Zu diesem Zweck schlägt sie konkret vor, die Einführung einer Lenkungsabgabe in Form einer «vorgezogenen Retourengebühr» zu prüfen. Diese würde bei der Bestellung erhoben und den Kunden «rückvergütet, wenn sie die bestellten Produkte behalten statt zurücksenden».

Malen wir uns das Ganze einmal in der Praxis aus: Bestelltes Produkt gefällt nicht, zurückgeschickt, vorgezogener Retourengebühr verlustig gegangen. So weit, so korrekt nach Plan — wenigstens in diesem Fall.

Ein nächstes Produkt bestellt, das gefällt zwar diesmal, doch leider ist es defekt. Macht nichts, kann man ja ebenfalls zurücksenden, jedoch…

Vermutlich muss man sich auf ein bürokratisches Spiessrutenlaufen gefasst machen, wenn man die vorgezogene Retourengebühr auch in diesem Fall zurückerstattet haben möchte. Oder aber der Händler muss sich mit der Bürokratie herumschlagen, bis diese endlich einsieht, dass die Rücksendung nur dem Umtausch eines defekten Geräts diente.

Bürokratischer Overkill

Nochmals ein anderer Fall: Das Produkt ist nicht so wie vom Händler angepriesen. Also ebenfalls zurückgeschickt. Im schlechtesten Fall folgen daraus endlose Streitereien zwischen Kunde und Händler darüber, ob das Produkt nun tatsächlich den angegebenen Spezifikationen entsprach und wer denn nun für die Gebühr der Rücksendung aufkommen muss.

Man mag sich all die potenziell nervenaufreibenden Situationen gar nicht ausmalen. Und das bloss, weil sich das Parlament im Elfenbeinturm wieder einmal eine lebensfremde Idee ausgedacht hat.

Doch wie begründet die UREK-S ihren Vorschlag? Soviel sei verraten: Die Begründung ist nicht viel weniger lebensfremd.

Kostenlose Retouren im Online-Versandhandel «setzen aus der Sicht der Kreislaufwirtschaft gleich in doppelter Hinsicht einen Fehlanreiz: 1. einen volkswirtschaftlichen, weil den Händlern zusätzliche Kosten entstehen und Einnahmen entgehen; 2. einen ökologischen…»

Onlinehändler werden bevormundet

Das ist ja nett, dass sich die Damen und Herren Ständeräte um die Kosten und Einnahmen der Onlinehändler sorgen. Bloss kann man davon ausgehen, dass sich diese sehr wohl etwas dabei gedacht haben, als sie die Möglichkeit kostenloser Retouren anboten. Oder wie es Milton Friedman formulierte: «The business of business is business.» Der vermeintlich wohlmeinende Eingriff wird von den betroffenen Händlern wohl eher als Bevormundung empfunden werden.

Immerhin, ganz so plump wie befürchtet sind die Mitglieder der UREK-S dann doch nicht. Scharfsinnig schlussfolgern sie: «Faktisch werden die kostenlosen Retouren dennoch eingespeist — einfach über die Bestellungen aller Kundinnen und Kunden. Somit werden jene benachteiligt, die sorgfältig und mit ernsthaften Kaufabsichten bestellen.»

Doch gilt das nur für den Onlinehandel? Im stationären Detailhandel — nehmen wir als Beispiel den Handel mit Bekleidungsartikeln, welcher letztlich dem Postulat der UREK-S Pate stand — braucht es bekanntlich Verkaufsflächen. Diese konsumieren Energie: Zum Heizen im Winter, zum Kühlen im Sommer und dazu die ganze graue Energie, welche im Gebäude steckt. Kurz: Ein Ladengeschäft belastet die Umwelt und generiert ebenfalls Kosten verschiedenster Art.

«Eintrittsgebühr» für Ladengeschäfte

Natürlich ist es nicht so, dass Menschen bloss im Internet ein wenig rumspielen wollen, dafür aber in der realen Welt immerzu «ernsthafte Kaufabsichten» hegen. Nebst Ladendieben gibt es auch jede Menge Menschen, welche bloss zum Spass in Geschäften herumstöbern, ein paar Kleider anprobieren — alles ohne «ernsthafte Kaufabsichten».

Auch solche Kunden benötigen Ladenfläche und generieren damit ebenfalls Kosten für den Detailhandel und belasten die Umwelt. Kosten, welche auch in diesem Fall letztlich die Konsumenten mit «ernsthaften Kaufabsichten» (und die Allgemeinheit) tragen müssen.

Wollte man in diesem Fall ebenfalls die Interessen dieser Kundinnen und Kunden mit «ernsthaften Kaufabsichten» schützen, müsste die UREK-S wohl über eine «Eintrittsgebühr» für Kunden des stationären Detailhandels nachdenken. Selbstverständlich würde diese beim Kauf eines Produkts zurückerstattet, oder auf den Verkaufspreis angerechnet.

So kommt es, wenn man eine unsinnige Idee konsequent zu Ende denkt. Immerhin: Auf die Idee, eine «Eintrittsgebühr» für Ladengeschäfte vorzuschreiben, ist die Umweltkommission des Ständerats zum Glück noch nicht gekommen.

Mehr statt weniger Müll

Noch einen «perversen Effekt» (ökonomisch gesprochen) hat der wenig durchdachte Vorschlag der UREK-S: Er könnte zu mehr anstatt zu weniger Müll führen. Dies aus zwei Gründen.

Zum einen wird es für Kunden im Online-Versandhandel teurer, ein Produkt zurückzusenden. Sie werden es also im Zweifelsfall eher behalten. Damit steigt aber auch das Risiko, dass beispielsweise ein Kleidungsstück ungetragen im Schrank hängen bleibt — und am Schluss doch noch, ungetragen, im Müll landet. Man sieht: Rücksendung kann durchaus ökologischer sein, als ein Produkt zu behalten.

Zweitens sehen sich Konsumenten im Kaufprozess einer Vielzahl von Anbietern gegenüber: Billige (oftmals aus China) ohne Möglichkeit zur Rücksendung und teurere Anbieter mit der Option, das Produkt bei Nichtgefallen zu retournieren. Kunden sind natürlich bereit, für die Option der Rücksendung eine Prämie zu bezahlen.

Wird nun die Rücksendung mit einer Strafgebühr belegt, steigen die Kosten des hiesigen Online-Versandhandels. Es lohnt sich für den Kunden nun also eher, zu spekulieren, und möglicherweise unbrauchbaren Ramsch aus China zu bestellen als ein besseres Produkt vom hiesigen Online-Versandhändler, welches er mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zurücksendet. Die Folge: Es wird mehr Schrott aus Übersee bestellt, der oftmals direkt im Müll landet.

Recyclinggebühr für bestellte, aber nicht gelesene Berichte

Doch was passiert denn beispielsweise mit Kleidern, die im stationären Detailhandel nicht verkauft werden? Dies beantwortet der Bericht «Abfallwirtschaft, Abfallvermeidung, Abfallplanung, Messung» der Bundesverwaltung, welcher im Frühjahr 2023 in Beantwortung von sechs parlamentarischen Postulaten verfasst wurde: «Grundsätzlich versuchen Unternehmen, ihre Lagerbestände durch optimierten Einkauf klein zu halten oder Lagerbestände durch eine Verschiebung innerhalb des Filialnetzes zu verkaufen.»

Man sieht: Auch im stationären Detailhandel werden Produkte in der Welt herum geschickt, wenn sie keinen Abnehmer finden. Eigentlich fast wie beim Onlinehandel.

Anstatt den Onlinehandel regulieren zu wollen, sollte die UREK-S vielleicht eher einmal darüber nachdenken, eine vorgezogene Recyclinggebühr für untaugliche parlamentarische Vorstösse zu erheben. Oder eine Recyclinggebühr für vom Parlament bestellte, aber offensichtlich nicht gelesene Berichte.

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Autor/in
Thomas Baumann

Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.

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