Die Generationenfrage treibt viele Unternehmungen an – und die Generationen haben mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Weshalb eine Durchmischung essenziell ist, führt Michèle Mégroz, CEO und Partnerin der CSP AG, als Gast am Ostschweizer Personaltag aus.
Michèle Mégroz, haben eine Ausbildung zur Informatikerin absolviert, und sind nun unter anderem im Vorstand von «IT St.Gallen rockt». Wie erleben Sie den Alltag in einer eher männerdominierten Umgebung?
Ganz so männerdominiert wie auch schon ist mein Alltag nicht mehr. In den letzten Jahren hat sich einiges getan. Gerade an der Schnittstelle zwischen IT und Business sind bereits sehr viele Frauen tätig. Insgesamt ist es ein extrem konstruktives, kreatives, positives und zukunftsgerichtetes Umfeld – absolut empfehlenswert.
Dennoch sind technische Berufe für viele Frauen nicht erstrebenswert genug. Was haben wir verpasst?
Wir sind schon einiges besser unterwegs als auch schon, aber ein solcher Wandel benötigt Zeit. Zentral ist, bei Mädchen mit speziellen Programmen schon früh das Interesse für die MINT-Fächer zu wecken. Auch wichtig sind sichtbare Vorbilder und Erfolgsgeschichten sowie die positive Darstellung von Frauen in technischen Berufen durch die Medien. Da können wir sicher noch einiges tun. Auch möchten Frauen anders wie Männer angesprochen werden.
Wie meinen Sie das?
Wir schreiben unsere Stellen in der weiblichen Form aus und verwenden in unserem Employer Branding eine andere Sprache. Das hat uns geholfen, in den letzten zwei Jahren unseren Anteil an Frauen auf rund 40 Prozent zu erhöhen. Auch sind wir sehr offen für Teilzeitarbeit: Wir beschäftigen zwischenzeitlich mehr als die Hälfte unserer Mitarbeitenden in Teilzeitpensen. Wir sind aber in erster Linie nicht an einer Erhöhung der Frauenquote aus politischen Gründen interessiert.
Sondern?
Weil wir im Naturell der Frauen Vorteile sehen. Ein guter Frauenanteil in Teams führt erfahrungsgemäss zu einem balancierteren Klima. Frauen sind zudem meist sehr gut organisiert und leistungsorientiert – ich staune manchmal, wie das solche machen, die auch noch eine Familie und Kinder haben. Wir streben auf jeden Fall Diversität an, weil wir daran glauben, dass das eine Komponente von High Performance Teams ist.
Die Politik möchte die Frauenquote verankern. Sie arbeiten als CEO – was halten Sie grundsätzlich von Frauenquoten?
Grundsätzlich bin ich gegen solch künstliche Eingriffe in den Arbeitsmarkt. Aus meiner Sicht sind Leistung und Eignung zentral, zumal für gewisse Positionen auch die Auswahl an geeigneten KandidatInnen nicht gleich gross ist. Es braucht ein kulturelles und langfristiges Umdenken. Die Erkenntnis, dass gemischte Teams besser und erfolgreicher sind, sollte automatisch dazu führen, dass diesem Aspekt genügend Wert beigemessen wird. Solche Vorgaben sollten nicht durch Politik und Gesetzgebung kommen, sondern von den Unternehmen selbst. Mittlerweile kann ich jedoch auch Quotenbefürworter- und -befürworterinnen verstehen, da dies den Prozess des Umdenkens wohl tatsächlich beschleunigt.
Rückblickend: Welche Herausforderungen haben Sie auf Ihrem Karriereweg gemeistert?
Lustigerweise sehe ich im Rückblick kaum Hürden, sondern viel mehr Gelegenheiten, welche sich ergeben und Chancen, welche ich ergriffen habe. Auch Herausforderungen gibt es immer wieder. Aber genau diese treiben mich an und führen auch zu einer aktiven Gestaltung der Zukunft.
Etwas, das mir wichtig ist und an dem ich immer wieder arbeite, ist genügend Freiräume für strategisches und grosses Denken zu schaffen. Wenn man eine Unternehmung weiterbringen möchte, muss man ein Big Picture im Kopf haben und sich aktiv damit auseinandersetzen. Und was für die Zukunftsgestaltung von Unternehmen gilt, lässt sich wohl auch auf den eigenen Weg anwenden.
Wie zeichnet sich das bei Ihnen aus?
Insgesamt habe ich keine gradlinige «Karriere» - wenn man dem überhaupt so sagen kann. Ich habe diverse Branchen und Aufgabenbereiche gesehen, bin neugierig, gestalte gerne und mag es, mich in neue Themen einzuarbeiten. Ein Learning ist, dass ich mittlerweile sehr gut weiss, was mir Spass macht und mir bewusst bin, dass man oftmals genau da am besten ist. Dies steht ganz klar im Zentrum – «Karriere» oder Status sind mir nicht wichtig.
Welche Massnahmen ergreifen Sie, um eine solch positive und inklusive Unternehmenskultur zu fördern?
Wir messen diesem Aspekt bereits bei der Rekrutierung einen grossen Stellenwert bei. Wir legen bei der Rekrutierung ein besonderes Augenmerk auf den «cultural fit». Wir lernen die Mitarbeitenden damit bereits im Bewerbungsverfahren durch entsprechende Aufgabenstellungen auf eine höchst persönliche Art kennen und können so zwischenzeitlich sehr gut abschätzen, ob die Kompatibilität mit unserer Kultur da ist.
Weiter geht es mit dem Onboarding – da ist es wichtig, dass die oder der Mitarbeitende sich in unserer geführten Selbstorganisation rasch und sicher selbst zurechtfinden kann. Wir begleiten über verschiedene Rollen und sind in engem Austausch.
Haben Sie ein Beispiel?
Neue Mitarbeitende leisten einen Videobeitrag zum Thema «Mein Beitrag zur Kultur», den sie mit anderen Mitarbeitenden teilen und setzen sich so aktiv mit der Kultur und auch dem sozialen Gefüge auseinander. Und natürlich geschieht auch vieles niederschwellig über die Führung, das Vorleben, laufende Sensibilisierung, eine gute Feedbackkultur, unser Mentoring-Programm, etc.
Wir hören Mitarbeitende an, nehmen Bedürfnisse und Anforderungen auf und machen regelmässig strukturierte Mitarbeitendenumfragen. Daraus werden wiederum Massnahmen abgeleitet. Erfreulicherweise bilden sich auch selbstorganisiert Grüppchen, welche spezielle Austausche oder Formate für Frauen oder Junge oder neue Mitarbeitende usw. anbieten.
Wir sind uns bewusst, dass Kulturarbeit kein «Seitenwagen ist», sondern strategische Planung voraussetzt und entsprechende Gefässe gesamtorganisational implementiert werden müssen. So haben wir verschiedene Initiativen wie beispielsweise ein Sounding-Board, zu dem sich organisationale Kulturbotschafterinnen und Kulturbotschafter regelmässig treffen, um die aktuelle Kultur zu spiegeln und entsprechende Massnahmen zu definieren und umzusetzen.
Nicht zuletzt versuchen wir, attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen, welche für unterschiedliche Lebensphasen und Bedürfnisse grosse Flexibilität bieten und so auch vielen Ansprüchen gerecht werden.
Die Generationenfrage treibt viele Unternehmungen an. Wie schafft es ein Unternehmen, die Belange und Anforderungen von so vielen Menschen gerecht zu werden?
Gerade als KMU hat man die Chance, durch hohe Flexibilität gewisse andere Punkte wettzumachen. Wir befassen uns immer wieder mit dieser Frage und haben uns dem Thema ursprünglich sehr strukturiert – durch die Entwicklung von Personas – angenähert.
Auch kommen die Mitarbeitenden direkt mit Ideen zu uns oder aber wir erhalten Feedbacks aus unseren quartalsweise generierten Mitarbeitendenumfragen oder aus der Great Place to Work Zertifizierung.
Mit welchen Erkenntnissen?
Unterschiedliche Lebensphasen rücken den Fokus auf mannigfaltige Bedürfnisse und verlangen nach unterschiedlichen Modellen und auch Benefits. «One fits all» gibt es wahrscheinlich nicht. Es lohnt sich, zu überlegen, wo man mit vertretbarem Aufwand und weiterer Gleichbehandlung verschiedene Modelle anbieten und so Wahlmöglichkeiten schaffen kann.
Uns ist bewusst, dass die Ansprüche einer Mutter mit einem Kleinkind andere sind, wie die eines Mitarbeitenden kurz vor der Pension. Beiden aber ist gemeinsam, dass sie nach Freiheitsgraden und einer hohen Vereinbarkeit mit dem Privatleben streben. Und so entwickeln wir teilweise «Sondermodelle», die bestimmte Generationen adressieren – wie beispielsweise unser «Silver Modell».
Was beinhaltet es?
Dieses ist designt für Mitarbeitende, die bei uns über die Pensionierung hinaus in einem kleinen Pensum weiterhin tätig sein und Mehrwert leisten wollen. Damit schaffen wir Möglichkeiten, sich noch länger aktiv in ein spannendes Umfeld einbringen zu können – und wir profitieren im Gegenzug von ihrem langjährigen Erfahrungsschatz und ihrer Expertise.
Rund um die Generationen gibt es viele Vorurteile. Wie erleben Sie das in Ihrem Arbeitsalltag?
Vor ein paar Jahren waren wir in Bezug auf Gender, Alter, Ausbildungen, etc. relativ homogen aufgestellt. Wir haben uns dann ein strategisches Ziel dazu gesetzt und aktiv verfolgt. Die gute Durchmischung heute ist für alle Beteiligten extrem bereichernd und lehrreich. Auch auf Projektbedürfnisse kann so viel gezielter eingegangen werden. Oftmals sind Kombinationen aus unterschiedlichen Profilen und auch Generationen optimal.
Wie hat sich Ihr Führungsstil im Laufe der Zeit entwickelt und wie beeinflusst er die verschiedenen Generationen in Ihrem Team?
Seit einiger Zeit arbeiten wir in einer geführten Selbstorganisation. Wir sind dabei rollenbasiert organisiert und haben keine eigentlichen Hierarchien mehr. Insofern hat sich der Führungsstil stark verändert. Befähigung, Unterstützung und Empowerment sind zentral. Das bedeutet, wenn ich ein internes Projekt realisieren möchte, muss ich die Mitarbeitenden heute für meine Idee «gewinnen» - ich kann die Aufgabe nicht einfach delegieren. Die Vorteile darin sind, dass die Mitarbeitenden eingeladen werden, sich aktiv einzubringen, aber auch mehr Selbstwirksamkeit im konkreten Tun erleben, was insgesamt zu höherer Arbeitszufriedenheit führt. Wir erwarten unternehmerisches Denken.
Was braucht es dafür?
Dafür ist eine sehr grosse Transparenz in allen Belangen wichtig. Wir kommunizieren intern beispielsweise Unternehmenskennzahlen. Unsere Mitarbeitenden wissen auch voneinander, wer welche Auslastung hat und welchen Umsatz macht. Diese Rahmenbedingungen sind Basis für die Selbstorganisation.
Auch wurde die Kommunikation eher anspruchsvoller. Ich kommuniziere viel mehr zu den Hintergründen und Überlegungen. So führe ich heute beispielsweise aus, warum ein Entscheid getroffen worden ist und ich informiere nicht einfach nur über den Entscheid. Grossen Wert lege ich auch auf Vertrauen und damit verbunden offenes Feedback. Nur so schafft man es, gemeinsam besser zu werden.
Welche neuen Arbeitsmodelle oder -ansätze könnten Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen?
Bereits heute zeichnen sich aus meiner Sicht klare Trends ab: Teilzeit, Sabbaticals, zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten oder Job Sharing sind schon fast alltäglich und werden in Zukunft wohl noch zunehmen. Als Treiber werden unter anderem die neuen Generationen gesehen, die stark nach Vereinbarkeit mit dem Privatleben suchen und «Sinn» für sich heute klar auch in der Selbstverwirklichung – und damit auch im privaten – definieren.
Auch sehe ich einen Trend zu mehr Freelancern und flexiblen, projektbezogenen Einsätzen. Bei uns darf man beispielsweise eine gewisse Anzahl Wochen als Digitaler Nomade im Ausland arbeiten – ein Angebot, das überraschend häufig genutzt wird.
Aufgrund der sich rasch verändernden Unternehmensumwelten sind dynamische und flexible Organisationsformen gefragt. Rollenbasierte, agile Organisationsformen wie Holacracy oder Selbstorganisation nehmen genauso zu, wie agile Arbeitsmethoden wie Scrum, SAFE oder Kanban.
Und nicht zuletzt werden auch die neuen Möglichkeiten mit KI noch einiges verändern und hoffentlich mehr Freiräume für kreatives und strategisches Arbeiten schaffen.
(Bilder: Depositphotos/pd)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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