Philipp Egger
Oliver Gröble, abtretender Gemeindepräsident von Wittenbach, hat sein Burnout öffentlich gemacht – und erntete Kritik. Wie belastend ist das Amt? Ein aktueller und zwei ehemalige Gemeindepräsidenten erzählen.
Eine politische Sitzung hier, eine Wahlfeier da, ein Begrüssungsapéro und ein Musikabend irgendwo dazwischen oder obendrauf: Das Amt eines Gemeindepräsidenten ist kein «Nine-to-Five-Job». Ständige Verfügbarkeit, eine grosse Angriffsfläche – das kann schon einmal an die Nieren gehen.
So ist es auch dem abtretenden Gemeindepräsidenten in Wittenbach, Oliver Gröble, passiert. Fast ein Jahr lang musste er sich aufgrund einer Überbelastung krankschreiben lassen. Inzwischen hat er eine neue Stelle in Wil gefunden. Zurückkehren in sein altes Amt wird er nicht mehr.
Harsche Kritik
Dafür musste er auch Kritik einstecken. Zu lange habe er über seinen Gesundheitszustand geschwiegen. Und dass erwährend seiner Krankschreibung eine andere Stelle suchte, haben auch nicht alle goutiert.
Dass ein Gemeindepräsident viel zu tun hat, ist nicht neu. Dass er sich jedoch über die sozialen Medien oder Kommentarfunktionen teilweise harsche Kritik gefallen lassen muss, schon eher.
Der Neue mit Elan
Diese Problematik dürfte Philipp Egger noch neu sein. Mit viel frischem Wind und völlig unbelastet hat er sein Amt als Gemeindepräsident in Jonschwil vor wenigen Wochen offiziell angetreten.
Da es ferienbedingt etwas ruhiger zu und her ging, konnte er sich bereits gut einarbeiten. «Mittlerweile bin ich in verschiedenen Themenbereichen sattelfest», sagt der 36-Jährige im Gespräch. Zum ersten Mal überhaupt bekleidet er ein solches Amt, und bisher decken sich die Vorstellungen mit der Realität. Durch verschiedene Sitzungen hatte er Zeit, sich in die drängendsten Themenbereiche einzuarbeiten. «Mir ist bewusst, was auf mich zukommt.»
Gute Struktur
Die hohe Arbeitsbelastung sei ihm bewusst, ein «Nine-to-Five-Job» sei ohnehin nichts für ihn. «Ich mag die Abwechslung und die Herausforderung, die das Amt des Gemeindepräsidenten mit sich bringt. Das Aufgabengebiet ist sehr gross und bringt viel Arbeit mit sich.»
Häufig würden auch kurzfristig dringende Themen auf den Tisch kommen. «Wichtig sind eine gute Struktur und Priorisierung dieser Themen. Ebenso ist es elementar, mit dem Team der Gemeindeverwaltung eng zusammenzuarbeiten und nicht alles selbst erledigen zu wollen.»
Freudvolle Arbeit
Die jüngere Generation strebt eine gesunde Work-Life-Balance an. Oftmals steht auch der Vorwurf im Raum, sie wollten nicht mehr so hart arbeiten, wie es ihnen die Eltern oder Grosseltern vorgemacht haben.
Einen Ausgleich zur Arbeit zu finden, ist auch Egger wichtig, um die Batterien wieder aufzuladen. Dennoch bereite ihm die Arbeit Freude.
«So nehme ich die Arbeit und die vielen Verpflichtungen nicht als ‹Müssen› wahr, sondern ein ‹Dürfen›.» Er versuche bewusst, die Arbeit von der Freizeit zu trennen.
Deshalb nimmt er bisher auch keine Unterlagen aus dem Büro mit nach Hause. «Wenn ich arbeite, bin ich im Büro, wenn ich zu Hause bin, dann habe ich Freizeit.»
Alles ist hektischer
An einem ganz anderen Punkt im Leben steht die ehemalige Gemeindepräsidentin Vreni Wild. Über 20 Jahre lang hatte sie das Amt inne, nun geniesst sie ihre Pension. Und das ist nicht einfach so daher gesagt – ihr bedeutet die neu gewonnene Freizeit viel, wie sie im Gespräch sagt. «Ich habe mein Amt gerne ausgeführt. Erstaunlicherweise ist mir erst jetzt aufgefallen, wie gross die Grundbelastung eigentlich war.» Nun gäbe ihr nicht mehr der Terminkalender den Takt vor, sondern ihre eigenen Wünsche.
Es sei Tatsache, dass der Aufwand für regionale und kantonale Themen enorm zugenommen haben. Man müsse sich in verschiedenen Gremien einbringen. «Heute ist alles hektischer, als es noch vor 20 Jahren der Fall war», sagt Vreni Wild weiter.
Schnelle Antworten erwünscht
Einerseits seien es die Gesetzes- und Verordnungsflut und damit auch kantonale Stellen, welche immer wieder neue Anforderungen an die Gemeinden stellen würden.
«Andererseits ist die Bürgerschaft generell anspruchsvoller geworden und erwartet schnell Antworten, wenn etwas ansteht. Ausserdem werden die Gemeinden immer häufiger mit Rechtsverfahren konfrontiert, welche Projekte verhindern oder zumindest verzögern.»
Viele Hürden und der Ausgleich
Einige Politiker beklagen die steigende Arbeitsbelastung. Was Vreni Wild verstehen kann. Auch wenn sie selber über sich sagt, dass sie gute Nerven habe.
«Ich rege mich nicht so schnell auf. In früheren Jahren konnte man als Gemeindepräsidentin oder Gemeindepräsident noch etwas entscheiden und sich dann darauf verlassen, dass dies auch umgesetzt werden kann. Heute gibt es da viele Hürden.» Es sei sicher belastend, wenn man für alles die Verantwortung tragen solle, aber wenig selber beeinflussen könne.
Weniger Mühe hatte sie mit der ständigen Präsenz. Bei Amtsantritt wisse man, was auf einen zukomme. «Die Repräsentationspflichten sind mir leichtgefallen, weil ich, aber auch mein Mann, gerne unter die Leute gehen», sagt sie. Einen Ausgleich schaffte sie sich mit Lesen – und mit der Einstellung, eben nicht alles zu nah an sich heranzulassen.
Ein neues Lebensgefühl
Nach 32 Jahren Behördentätigkeit auf Gemeindestufe hat sich Kurt Baumann in Sirnach ebenfalls in den Ruhestand verabschiedet. Vermehrt etwas tun können, es aber nicht zu müssen, sei wirklich ein neues Lebensgefühl, wie er sagt.
Das Amt innerhalb des Gemeinderats habe sich grundsätzlich nicht verändert. «Das Umfeld und die konkreten Aufgaben haben es aber in all den Jahren getan», sagt er.
Die Aufgaben sind anspruchsvoller geworden
Die übergeordnete Gesetzgebung, die von einer Kommunalbehörde zu respektieren sei, habe sich entwickelt und sei dadurch anspruchsvoller geworden. Als Beispiel nennt er die revidierte Raumplanung.
«Mit den angepassten Planungs- und Baugesetz der Kantone sind Planungsgeschäfte heute viel umfassender und komplexer. In etlichen anderen Bereichen sind die Aufgaben auch anspruchsvoller geworden oder sind neu dazugekommen – wie beispielsweise Energie, Umwelt, Migration, um nur einige zu nennen.»
Neue Ansprüche aus der Bevölkerung
Anspruchsvoller sei auch das Verhalten der Einwohnerinnen und Einwohner geworden. Er wolle dies nicht als negativ werten, sagt Baumann weiter. Vielmehr lebten wir heute durch das Bevölkerungswachstum näher zusammen. «Das bringt neue Ansprüche mit sich.»
Weniger Leute wollen sich für die Gemeinde engagieren – auf der anderen Seite könne sich aber aufgrund einer konkreten Betroffenheit durch ein Projekt sehr schnell und aktiv eine bestimmte Gruppierung formieren. «Diese Umstände fordern eine Behörde zunehmend.»
Bewusste Freiräume
Vor seinem Politikeramt arbeitete Baumann als Ingenieur in der Privatwirtschaft. Auch dort könne die Arbeitsbelastung hoch sein. Bei einem politischen Amt kommen zusätzliche Verpflichtungen dazu.
Auch wenn mit der damit verbundenen Horizonterweiterung und gesteigerten Attraktivität einige Vorteile erreicht werden – eine höhere Arbeitsbelastung könne nicht von der Hand gewiesen werden, so Baumann. «Zudem hat die Dynamik in der politischen Arbeit zugenommen. Dazu beigetragen hat vor allem die Digitalisierung und die steigende Flut an Informationen. Eine Strategie, damit umzugehen, muss jede Politikerin und jeder Politiker für sich herausfinden.»
Er habe stets darauf geachtet, trotz den Belastungen bewusst Freiräume zu schaffen. «Kein Mensch hat unbegrenzte Kräfte. Die vielzitierten Batterien wollen geladen werden. Eine gute Gesundheit und vor allem die grosse Freude an allen Aufgaben haben mir sehr geholfen, um den Belastungen standzuhalten.»
Philipp Egger
Alles ist hektischer
An einem ganz anderen Punkt im Leben steht die ehemalige Gemeindepräsidentin Vreni Wild. Über 20 Jahre lang hatte sie das Amt inne, nun geniesst sie ihre Pension. Und das ist nicht einfach so daher gesagt – ihr bedeutet die neu gewonnene Freizeit viel, wie sie im Gespräch sagt. «Ich habe mein Amt gerne ausgeführt. Erstaunlicherweise ist mir erst jetzt aufgefallen, wie gross die Grundbelastung eigentlich war.» Nun gäbe ihr nicht mehr der Terminkalender den Takt vor, sondern ihre eigenen Wünsche.
Es sei Tatsache, dass der Aufwand für regionale und kantonale Themen enorm zugenommen haben. Man müsse sich in verschiedenen Gremien einbringen. «Heute ist alles hektischer, als es noch vor 20 Jahren der Fall war», sagt Vreni Wild weiter.
Schnelle Antworten erwünscht
Einerseits seien es die Gesetzes- und Verordnungsflut und damit auch kantonale Stellen, welche immer wieder neue Anforderungen an die Gemeinden stellen würden.
«Andererseits ist die Bürgerschaft generell anspruchsvoller geworden und erwartet schnell Antworten, wenn etwas ansteht. Ausserdem werden die Gemeinden immer häufiger mit Rechtsverfahren konfrontiert, welche Projekte verhindern oder zumindest verzögern.»
Viele Hürden und der Ausgleich
Einige Politiker beklagen die steigende Arbeitsbelastung. Was Vreni Wild verstehen kann. Auch wenn sie selber über sich sagt, dass sie gute Nerven habe.
«Ich rege mich nicht so schnell auf. In früheren Jahren konnte man als Gemeindepräsidentin oder Gemeindepräsident noch etwas entscheiden und sich dann darauf verlassen, dass dies auch umgesetzt werden kann. Heute gibt es da viele Hürden.» Es sei sicher belastend, wenn man für alles die Verantwortung tragen solle, aber wenig selber beeinflussen könne.
Weniger Mühe hatte sie mit der ständigen Präsenz. Bei Amtsantritt wisse man, was auf einen zukomme. «Die Repräsentationspflichten sind mir leichtgefallen, weil ich, aber auch mein Mann, gerne unter die Leute gehen», sagt sie. Einen Ausgleich schaffte sie sich mit Lesen – und mit der Einstellung, eben nicht alles zu nah an sich heranzulassen.
Ein neues Lebensgefühl
Nach 32 Jahren Behördentätigkeit auf Gemeindestufe hat sich Kurt Baumann in Sirnach ebenfalls in den Ruhestand verabschiedet. Vermehrt etwas tun können, es aber nicht zu müssen, sei wirklich ein neues Lebensgefühl, wie er sagt.
Das Amt innerhalb des Gemeinderats habe sich grundsätzlich nicht verändert. «Das Umfeld und die konkreten Aufgaben haben es aber in all den Jahren getan», sagt er.
Die Aufgaben sind anspruchsvoller geworden
Die übergeordnete Gesetzgebung, die von einer Kommunalbehörde zu respektieren sei, habe sich entwickelt und sei dadurch anspruchsvoller geworden. Als Beispiel nennt er die revidierte Raumplanung.
«Mit den angepassten Planungs- und Baugesetz der Kantone sind Planungsgeschäfte heute viel umfassender und komplexer. In etlichen anderen Bereichen sind die Aufgaben auch anspruchsvoller geworden oder sind neu dazugekommen – wie beispielsweise Energie, Umwelt, Migration, um nur einige zu nennen.»
Neue Ansprüche aus der Bevölkerung
Anspruchsvoller sei auch das Verhalten der Einwohnerinnen und Einwohner geworden. Er wolle dies nicht als negativ werten, sagt Baumann weiter. Vielmehr lebten wir heute durch das Bevölkerungswachstum näher zusammen. «Das bringt neue Ansprüche mit sich.»
Weniger Leute wollen sich für die Gemeinde engagieren – auf der anderen Seite könne sich aber aufgrund einer konkreten Betroffenheit durch ein Projekt sehr schnell und aktiv eine bestimmte Gruppierung formieren. «Diese Umstände fordern eine Behörde zunehmend.»
Bewusste Freiräume
Vor seinem Politikeramt arbeitete Baumann als Ingenieur in der Privatwirtschaft. Auch dort könne die Arbeitsbelastung hoch sein. Bei einem politischen Amt kommen zusätzliche Verpflichtungen dazu.
Auch wenn mit der damit verbundenen Horizonterweiterung und gesteigerten Attraktivität einige Vorteile erreicht werden – eine höhere Arbeitsbelastung könne nicht von der Hand gewiesen werden, so Baumann. «Zudem hat die Dynamik in der politischen Arbeit zugenommen. Dazu beigetragen hat vor allem die Digitalisierung und die steigende Flut an Informationen. Eine Strategie, damit umzugehen, muss jede Politikerin und jeder Politiker für sich herausfinden.»
Er habe stets darauf geachtet, trotz den Belastungen bewusst Freiräume zu schaffen. «Kein Mensch hat unbegrenzte Kräfte. Die vielzitierten Batterien wollen geladen werden. Eine gute Gesundheit und vor allem die grosse Freude an allen Aufgaben haben mir sehr geholfen, um den Belastungen standzuhalten.»
Gemeindepräsident Kurt Baumann.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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