Hans Vollenweider war der letzte Straftäter, der in der Schweiz nach dem Zivilgesetz hingerichtet wurde. Erst kurz danach wurde das neue Gesetzeswerk in Kraft gesetzt, das die zivile Todesstrafe abschaffte. Vollenweider fielen drei Menschen zum Opfer – innerhalb von zehn Tagen.
Geht es um die letzte Hinrichtung in der Schweiz, denken die meisten sofort an den «Landesverräter Ernst S.», dessen Erschiessung Niklaus Meienberg und Richard Dindo 1976 in einem Film dokumentarisch verarbeitet haben. Dabei ging es allerdings um ein Urteil nach Militärgesetz. Die zivile Todesstrafe war in einer Volksabstimmung bereits 1938 abgeschafft worden, gleichzeitig hatte das Stimmvolk die Schaffung eines gesamtschweizerischen Strafgesetzbuches beschlossen.
Der letzte von neun Hingerichteten nach 1874
Umgesetzt waren die Änderungen 1940 allerdings noch nicht. Das wurde Hans Vollenweider zum Verhängnis, dem letzten nach Zivilgesetz Hingerichteten in der Schweiz. In jenem Jahr wurde er unter die Guillotine geführt, durchaus von Kritik begleitet, weil die Schweizerinnen und Schweizer zwei Jahre zuvor deutlich gemacht hatten, was sie von der Strafe hielten. Doch bis das schweizweite Gesetzeswerk 1942 vorlag, waren die Kantone am Zug, was den Strafkatalog angeht. Vollenweider war einer von insgesamt neun Verbrechern, die dieses Schicksal ereilte, nachdem die Todesstrafe 1874 abgeschafft und wenige Jahre später bereits wieder eingeführt worden war.
Heute würde man den Fall als «murder spree» bezeichnen, irgendwo zwischen Serienmord und Amoklauf. Hans Vollenweider tötete im Jahr 1939 drei Menschen innerhalb von zehn Tagen. Verurteilt wurde er nur aufgrund des letzten Tötungsdelikts an einem Polizeibeamten im Kanton Obwalden. Mit dem dortigen Todesurteil hatten sich die ersten beiden Morde strafrechtlich gewissermassen erledigt.
Die drohende Armut als Wendepunkt
Vollenweider, geboren 1908 in Zürich, hatte keine schlechten Voraussetzungen für einen geordneten Lebenslauf. Er durchlief eine Lehre als Buchhalter, doch im Rahmen der Wirtschaftskrise nach 1930 verlor er seine Stelle. Der Familienvater verfasste später eine Art Lebenslauf und sprach darin von einem Wendepunkt im Jobverlust. Er habe sich angestrengt, aber ohne eigenes Verschulden mit ansehen müssen, wie sich seine Lebenspläne in Luft auflösten.
Danach ist er offen für schlechten Umgang und einen neuen Lebenswandel. Den Auftakt markiert ein Banküberfall im Kanton St.Gallen, der sich allerdings kaum auszahlte. Ein Jahr später wandert Vollenweider dafür erstmals hinter Gitter, weil ihn sein Komplize verrät. Zwar nimmt er sich in Haft vor, danach wieder neu anzufangen, doch aufgrund der Einschätzung eines Psychiaters sollen aus den zweieinhalb Jahren Haft mehr als fünf werden, weil ihm keine günstige Prognose ausgestellt wird. Als Hans Vollenweider erstmals Hafturlaub geniesst, setzt er sich ab, bestiehlt seine Eltern und beschafft sich mit dem Geld Waffen. Sein Plan: Sich nach Deutschland absetzen und dort mangels Alternativen mit der kriminellen Karriere durchstarten.
Mord für ein Auto und eine neue Identität
Doch er schafft es gar nicht erst ins Ausland. Denn Vollenweider braucht neue Papiere und ein Fahrzeug für seine Pläne. Mit einem Zeitungsinserat sucht er einen Chauffeur. Der soll ihm dann das liefern, was er braucht, aber dafür muss er verschwinden. Der entflohene Häfting erschiesst den Chauffeur Hermann Zwyssig im Gebiet zwischen Zürich und Zug und entledigt sich der Leiche im Zugersee. Nun hat er ein Fahrzeug, aber das Bargeld geht ihm aus. Der Plan, einen Postboten zu überfallen, mündet in den zweiten Mord, dem am Briefträger Emil Stoll.
Wer für die Taten verantwortlich ist, erschliesst sich den Ermittlern recht schnell, nach Vollenweider wird landesweit gefahndet. Er selbst hat inzwischen die Fluchtpläne Richtung Ausland offenbar begraben und glaubt, dank der «neuen Identität» - den Papieren des ersten Mordopfers Zwyssig – in Luzern unerkannt einen Neuanfang machen zu können. Tatsächlich findet er eine Stelle als Portier in einem Hotel. Doch bei aller kriminellen Energie ist Hans Vollenweider alles andere als ein Profi. Er fliegt auf, weil er in einer Wäscherei seine blutbefleckte Kleidung waschen lassen will und eine Angestellte die Polizei alarmiert.
Daraus resultiert sein drittes Opfer, der 23-jährige Polizist Alois von Moos. Dieser sucht Vollenweider im Hotel in Sachseln auf, es kommt zur Auseinandersetzung, und der Doppelmörder greift ein weiteres Mal zur Pistole. Von Moos stirbt, doch Vollenweider kann von Angestellten des Hotels überwältigt werden und landet in Haft.
Gnadengesuch wurde abgelehnt
Es ist die Geschichte der heillosen Überforderung eines Mannes ohne echten Plan. Was aber am Urteil nichts änderte. Der Kanton Obwalden verfügte für die Erschiessung von Alois von Moos die Todesstrafe, an einen anderen Kanton, in dem Vollenweider getötet hatte, mochte man ihn nicht ausliefern. Hans Vollenweider wurde am 18. Oktober 1940 hingerichtet. Eine letzte Mahlzeit schlug er aus, auch auf letzte Worte verzichtete er. Einen geistlichen Beistand lehnte er ebenfalls ab. Am Ende seiner kurzen Periode als Kapitalverbrecher hatte er offenbar jede Lust auf Gegenwehr oder darauf, sich zu erklären, verloren. Zuvor hatte der Obwaldner Kantonsrat ein Gnadengesuch abgelehnt.
Die eingesetzte Guillotine, die aus dem Kanton Luzern stammte, kam an jenem Tag zum letzten Mal zum Einsatz. Zwei Jahre später war es Ernst S., der Hans Vollenweider verdrängte als letzter Hingerichteter – wenn auch unter anderen Voraussetzungen.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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