Wer ein Glas zu viel getrunken hat, kann sich von der Organisation Nez Rouge Ostschweiz sicher nach Hause bringen lassen. Obwohl alle Weihnachtsessen wieder stattfinden: Seit der Pandemie nutzen viel weniger Leute das Angebot. Eine Spurensuche.
Reto Vogel sitzt mit seinen Kollegen an diesem Samstagabend im Dezember in der Einsatzzentrale von «Nez Rouge» Ostschweiz. Man spielt Karten zusammen, redet und lacht. Eine friedliche Atmosphäre, die jedoch auch weniger gemütlich sein dürfte.
Eigentlich sollten die Teams nämlich in den Fahrzeugen sitzen, auf dunklen Strassen unterwegs sein, um Menschen nach Hause zu fahren, die während ihres Restaurantbesuchs oder einer Feier ein oder zwei Gläser zu viel getrunken haben. Und so vernünftig sind, sich eben nicht mehr selber hinters Steuer zu setzen, sondern «Nez Rouge» anzurufen.
Massenhaft Alkoholisierte im Auto unterwegs
Reto Vogel, verantwortlich für den Bereich Social Media bei «Nez Rouge Ostschweiz», erklärt, dass am besagten Samstagabend bereits 2,5 Stunden ohne eine einzige Fahrt verstrichen sind. «Wir fragen uns manchmal, woher dieser Einbruch kommt. Laut den Polizeiberichten sind schliesslich massenhaft alkoholisierte Fahrer unterwegs.»
Was Reto Vogel zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiss: Er und sein Teampartner müssen in dieser Nacht kein einziges Mal ausrücken.
Maskottchen Rudolph
Hier ein Besuch auf dem Weihnachtsmarkt, dort ein Apéro im Büro: Der Dezember ist gespickt mit diversen Feiern und sonstigen Anlässen, die häufig feuchtfröhlich zu Ende gehen. Die Präventionskampagne «Nez Rouge» wurde von der Bevölkerung ins Leben gerufen, um mit dem Maskottchen Rudolph und seiner roten Nase an die Vernunft der Verkehrsteilnehmer zu appellieren. Denn: Wer getrunken hat, soll sich nicht mehr hinters Steuer setzen. Das übernehmen in solchen Fällen die Freiwilligen von «Nez Rouge», die jeweils im Monat Dezember unterwegs sind.
«Das Angebot wurde vor der Pandemie rege genutzt», fasst es Reto Vogel zusammen. «Die Zahlen sind nun jedoch um etwa zwei Drittel eingebrochen.» Die Coronapandemie verunmöglichte die Fahrten im Jahr 2020 komplett. Ein Jahr später waren die Freiwilligen vereinzelt in einigen Kantonen in der Schweiz unterwegs, in der Ostschweiz jedoch nicht.
Freiwillige Arbeit
Im Jahr 2019 gab es gesamtschweizerisch 16’890 Fahrten. Drei Jahre und eine Pandemie später lagen diese gerade noch bei 7'561. Auch Freiwillige werden inzwischen verstärkt gesucht. Waren es im Jahr 2019 schweizweit noch 10'755 Menschen, die freiwillig ihre Fahrdienste anboten, sind es inzwischen nur noch 6'512.
Dass die rückläufigen Zahlen mit der Pandemie zusammenhängen, liegt für die Verantwortlichen von «Nez Rouge» auf der Hand. Vielleicht habe sich das Ausgehverhalten der Leute verändert, mutmasst Vogel. «Dadurch, dass wir zwei Jahre lang nicht fahren konnten, fehlte die Präsenz und unser Angebot ging ein wenig vergessen.»
Mit verschiedenen Kampagnen auf Social Media versucht man nun, wieder vermehrt auf «Nez Rouge» aufmerksam zu machen. Ebenso werden jeweils Ende November sämtliche Restaurants und Bars angeschrieben, und es wird Werbematerial abgegeben.
Immer unterwegs
Dass das Angebot gefragt ist, hätten die Zahlen vor der Pandemie verdeutlicht. Damals wartete man an einem Einsatzabend etwa eine halbe Stunde auf den ersten Anruf, und war schliesslich bis ein oder – am Wochenende – bis zwei Uhr morgens unterwegs, so Vogel. «Inzwischen kann es sein, dass eines der vier Teams gar nicht mehr ausrücken muss, weil niemand danach verlangt.»
Vogel weiss, wie er damit umgehen muss. Er sieht einen solchen Abend als «persönliche Entschleunigung» an, in einem Monat, in welchem es traditionsgemäss hektisch zu und her geht. «Dennoch ist es schade, weil immer wieder von Unfällen zu lesen ist, die durch Alkohol am Steuer verursacht wurden. Das müsste nicht sein.»
Täglicher Einsatz bis Ende Jahr
Die Verantwortlichen hoffen, dass das Angebot in den nächsten Tagen verstärkt genutzt wird. Denn: In der Ostschweiz sind die Teams vom 21. Dezember bis 31. Dezember jede Nacht im Einsatz, um die Menschen sicher nach Hause zu bringen.
Der Grund muss übrigens nicht immer das berühmte Glas zu viel sein. «Wir haben auch schon ganze Familien nach Hause gebracht, weil der Fahrer Medikamente nehmen musste oder sehr müde war», sagt Vogel. Auch ältere Menschen, die unter Nachtblindheit leiden oder sich auf vereisten Strassen nicht mehr sicher fühlen, können von «Nez Rouge» profitieren.
(Bild: pd)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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