Das nennt man eine Kampagne. Gestern war mal wieder Sonntag, und die SonntagsZeitung drischt auf den ehemaligen Raiffeisen-Boss Pierin Vincenz ein.
Ich gebe zu: Ich wiederhole mich. Ich kann aber nichts dafür: Die SonntagsZeitung wiederholt sich auch. Als wäre es ein bedingter Reflex geworden, muss sich der Oberchefredaktor von Tamedia zu Pierin Vincenz äussern. So wie letzten Sonntag. Und viele Sonntage zuvor.
Da müssen sich ja die Ereignisse in der Causa Vincenz überschlagen. Denn normalerweise wird die Berichterstattung mit dem Satz eingeleitet, dass die Staatsanwaltschaft unter Hochdruck ermittle und arbeite. Was dann auch demnächst zur Anklage führen werde. Dieses Demnächst verschiebt sich aber ständig. Es ist schon beinahe ein Jahr vergangen, seit Vincenz und sein Kompagnon aus der monatelangen U-Haft entlassen wurden.
Die Zürcher Staatsanwaltschaft vermutet, dass sich Vincenz der ungetreuen Geschäftsbesorgung schuldig gemacht habe. Also in den eigenen Sack gewirtschaftet und damit seinen Arbeitgeber, Raiffeisen, geschädigt. Nun müsste man meinen, dass eine Staatsanwaltschaft schon ziemlich viele Indizien in der Hand hat, bevor sie einen unbescholtenen Bürger in den Knast wirft.
Aber im aktuellen Artikel wird geklagt, dass Verjährung drohen könne. Schuld daran sei die «ausgeklügelte Strategie» vom Verteidiger von Vincenz. Welche finsteren Winkelzüge unternimmt denn der Strafverteidiger Lorenz Erni? Nun, er liess die bei der Hausdurchsuchung, die der Verhaftung vorausging, beschlagnahmten Dokumente versiegeln.
Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft zwar physisch im Besitz der Unterlagen ist, die sie aus dem Privathaus von Vincenz abtransportierte. Aber sie darf darauf nicht zugreifen. Ja darf das denn dieser Anwalt? Zeichnet sich hier ein Justizskandal ab? Allerdings. Aber andersrum. Denn selbstverständlich ist es das gute Recht von Vincenz, alle legalen Mittel zu seiner Verteidigung einzusetzen. Und dazu gehört selbstverständlich auch die Versiegelung von Dokumenten.
Wie es sich für einen Rechtsstaat gehört, muss nun die Staatsanwaltschaft auf dem Gerichtsweg die Entsiegelung durchkämpfen. Das kann dauern. Und dürfte die Staatsanwaltschaft doch nicht überraschen und auf dem falschen Fuss erwischen, dass ein Angeschuldigter sich mit allen rechtlichen Mitteln verteidigt. Oder doch?
Da wird der neuste «Hau den Vincenz»-Artikel etwas schwammig. Zum einen behauptet der Autor, dass der Kauf der Firma Commtrain durch Aduno im Jahre 2007 «gut dokumentiert» sei. Aber wenn es dem Anwalt von Vincenz gelänge, «dass bis 2022 kein Urteil ergeht, ist er verjährt», jammert er dann.
Also wenn dieser Fall gut dokumentiert ist, wieso könnte dann diese Versiegelung zur Verjährung führen? Oder könnte es sein, dass er eben doch nicht so gut dokumentiert ist, und deshalb die Staatsanwaltschaft dringend darauf angewiesen, alle behändigten Unterlagen durchzukämmen?
Das sei ein «Testfall für die Strafjustiz», raunt der Autor bedeutungsschwer, denn die «ausgeklügelte Strategie» lege die Zürcher Staatsanwaltschaft «lahm». Der Laie ist verwirrt, und der Fachmann wundert sich. Letzten Sonntag arbeitete die Strafverfolgungsbehörde noch «auf Hochtouren», eine Woche später ist sie schon lahmgelegt?
Da bleibt als Hoffnung nur, dass sie nächsten Sonntag wieder in den Modus «Hochtouren» zurückfindet. Allerdings: Wenn die SonntagsZeitung mit Hochdruck daran arbeiten will, dass sie jede Glaubwürdigkeit verliert, dann ist sie gut unterwegs.
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