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Projekt von Hepatitis Schweiz

Hepatitis und HIV: So wichtig ist die Früherkennung in den Strafanstalten

Früherkennung kann Leben retten: Die Strafanstalt Saxerriet beteiligte sich an einem Pilotprojekt von Hepatitis Schweiz. Nun werden die Gelder für systematische Tests gestrichen. Diesen Entscheid bedauern die Verantwortlichen der Strafanstalt Saxerriet sehr.

Manuela Bruhin am 11. Dezember 2023

Erhöhte Temperatur. Bauchschmerzen. Müdigkeit. Vielleicht ein allgemeines Krankheitsgefühl. Was sich auf den ersten Blick eher nach einer normalen Grippe anhört, kann unter Umständen eine sehr gefährliche Krankheit sein: Hepatitis. Die Krankheit wird in verschiedene Formen Hepatitis A, B, C, D und E unterteilt. Übertragen wird sie durch offene Wunden, Bluttransfusionen, Schleimhäute, aber auch unsauberes Drogenbesteck oder unsterile Nadeln. Bleibt die Krankheit unentdeckt, kann sie zu schweren Leberschäden, Leberkrebs bis hin zum Tod führen.

Schweizweite Kampagne

Eingewiesene Personen von Strafanstalten gehören häufig zu den Risikogruppen. Teilweise, weil sie aus Ländern stammen, in welchen die Krankheit häufig vorkommt und übertragen wird. Oder, weil sie Drogen konsumieren. Oder sich beim Geschlechtsverkehr nicht ausreichend schützen.

Um die Krankheit einzudämmen, lancierte Hepatitis Schweiz eine Kampagne bei Strafanstalten. Statt wie üblich nur bei Verdachtsmomenten zu testen, sollen sämtliche Neuzugänge auf HIV, Hepatitis B und C getestet werden.

Iva Juricic leitet in der Strafanstalt Saxerriet den Gesundheitsdienst – und nennt die Kampagne sogleich ein Herzensprojekt. «Ich habe mich von Anfang an daran gestört, dass es in einer Strafanstalt – anders als in Spitälern oder beim Militär – keine standardmässigen Tests gibt, welche die Krankheiten entdecken», sagt sie im Gespräch mit «Die Ostschweiz».

Die eingewiesenen Personen gehören schliesslich oft zu den Risikogruppen. «Die Aufklärungsarbeit, die zusammen mit den Tests einher geht, ist deshalb umso wichtiger – um die Betroffenen selber darüber zu informieren, aber auch die Angehörigen, die Kinder und nicht zuletzt unsere Mitarbeitenden.» Das Projekt von Hepatitis Schweiz sei deshalb ein wichtiger Beitrag an die Gesellschaft.

Freiwillige vor

Das Projekt ermöglicht es der Strafanstalt Saxerriet, kostenlose Tests zu beziehen, um alle neuen eingewiesenen Personen auf HIV, Hepatitis B und C zu testen. Die Daten sind geschützt, zeigen jedoch auf, wie viele Personen erkrankt sind. Zu Beginn gab es einen Informationsanlass für die Eingewiesenen – von den damals 115 Personen haben sich im Anschluss fast alle gemeldet, um sich freiwillig testen zu lassen. «Eine Handvoll hat das Angebot zuerst abgelehnt. Nach einem persönlichen Gespräch konnten wir sie aber am Ende fast alle davon überzeugen», sagt Juricic.

Nun wird jeder Neueintritt systematisch auf die Krankheiten getestet. Dass diese Massnahmen durchaus gerechtfertigt sind, verdeutlicht das Resultat. Drei positive Fälle konnten dadurch ermittelt werden.

«Ein positiver Fall heisst nicht automatisch, dass die Person Hepatitis hat – sondern nur, dass der Körper Antikörper gebildet hat», erklärt Juricic. Dies könne beispielsweise dann der Fall sein, wenn die Erkrankung bereits einmal durchgemacht wurde. Oder eben, wenn das Virus gerade aktiv ist.

Nicht alleine lassen

Bei einem positivem Schnelltest wird anschliessend ein grosses Blutbild benötigt. Juricic erinnert sich an einen Fall, wo die eingewiesene Person vom positiven Ergebnis völlig überrascht war. Umso wichtiger sei es, dass die Betroffenen nach dem Test mit dem Ergebnis nicht alleingelassen werden – sondern aufgeklärt wird, dass dies kein Todesurteil für den Betroffenen bedeute. «Viele haben noch das Wissen von damals und verbinden HIV oder Hepatitis damit, dass man daran sterben wird. Das ist mit den heutigen Medikamenten aber nicht mehr der Fall», sagt Juricic.

Die Medikamente gegen HIV können zwar das Virus nicht abtöten, aber in einen Tiefschlaf versetzen. Der Betroffene sei also nicht mehr ansteckend, müsse aber sein Leben lang Medikamente einnehmen.

Bei einem positiven Hepatitis-C-Befund werde untersucht, wie stark die Leber betroffen sei, und die Blutwerte entscheiden darüber, welche Medikamente und Therapie eingesetzt werden. Nach einer mehrwöchigen Kur gilt die Person als geheilt – kann sich jedoch erneut mit Hepatitis C infizieren. Deshalb ist neben dem systematischen Testen auch die Aufklärungsarbeit sehr wichtig.

Fingerspitzengefühl gefragt

«Wir helfen den eingewiesenen Personen, solange sie hier sind – und darüber hinaus. Wir suchen gemeinsam eine Anschlusslösung, damit sie in jedem Fall die Behandlung abschliessen können», sagt Juricic. Ein Team aus Pflegefachkräften und Ärzten begleitet die erkrankten eingewiesenen Personen engmaschig, damit keine Ängste entstehen, und sie über die Krankheit informiert werden. «Dafür braucht es viel Fingerspitzengefühl», weiss Juricic.

Aber es seien auch spannende Erfahrungen, die wertvoll seien – für die eingewiesenen Personen, aber auch für die Mitarbeitenden der Strafanstalt. Denn auch auf sie muss ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Schliesslich gibt es durchaus heikle Situationen, vor welchen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschützt werden müssen.

Laut Juricic ist es im laufenden Jahr zweimal zu Vorfällen gekommen, in denen die Mitarbeitenden mit Blut der eingewiesenen Personen in Kontakt gekommen sind. «Da hilft es ungemein, wenn wir wissen, ob das Blut mit Hepatitis oder HIV infiziert ist – oder eben nicht. Die Mitarbeitenden wissen, dass sie uns vertrauen können. Mögliche Ängste können so gemindert werden.»

Keine Unterstützung mehr

So erfreulich sich das Projekt entwickelt hat, so unschön gestaltet sich nun das Ende. Denn das Bundesamt für Gesundheit streicht die Gelder für mehrere Projekte von Hepatitis Schweiz. Die Institution hat 400'000 Franken beantragt – bewilligt werden ab 2024 nur noch 35'000 Franken. «Auch ohne Unterstützung machen wir mit den systematischen Tests weiter», sagt Juricic. «Wir sind sehr froh darüber – die Entscheidung, die Gelder zu streichen, finden wir sehr schade.»

Denn es hätten sich inzwischen mehrere Strafanstalten gemeldet, die vom Projekt erfahren hätten und sich dafür interessieren würden. Und es läge auf der Hand, dass die Zukunft in Strafanstalten herausfordernd sei – im Blick auf die Gesundheit der eingewiesenen Personen. «Die Menschen leiden vermehrt an verschiedenen Krankheiten. Zusätzlich hat sich das Suchtverhalten in den letzten Jahren deutlich verändert», sagt Juricic. Es sei eine tägliche Herausforderung, darauf reagieren zu können. «Umso wichtiger ist es, dass die Strafanstalten nicht stillstehen. Doch das wird schwierig, wenn Gelder gestrichen werden.»

Systematische Tests könnten künftig häufiger eingesetzt werden, beispielsweise auch im Bereich von Geschlechtskrankheiten. Zuerst muss zwar Geld investiert werden. Doch würden solche Tests dabei helfen, die Gesundheitskosten auf lange Frist einzudämmen. Juricic wünscht sich, dass künftig wieder vermehrt an den Menschen gedacht wird – und nicht an das Delikt, welches er oder sie begangen hat. «Die Justiz hat sie bereits dafür verurteilt. Nun verdienen es die Menschen, die Angehörigen und auch unsere Mitarbeiter, dass wir sie so gut schützen, wie wir können.»

(Bild: pd)

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) aus Waldkirch ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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