Tausende von Landwirten legten in diesen Tagen grosse Teile Deutschlands lahm. Ähnliche Szenen haben sich in der Vergangenheit auch in der Schweiz abgespielt. Was solche Streiks bringen? Der Präsident des Schweizer Bauernverbands, Markus Ritter, schlüsselt auf.
Markus Ritter, die Verkehrsblockade in Deutschland hat weite Teile des Landes lahmgelegt. Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie das Ganze?
Mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite habe ich Verständnis für das Handeln der deutschen Berufskollegen. Sie werden politisch kaum gehört, nicht zu Gesprächen eingeladen und fühlen sich daher nicht mehr ernst genommen. Auf der anderen Seite bergen solch breit angelegte Demonstrationen mit Fahrzeugen auch erhebliche Risiken in Bezug auf nicht geplante und unerwünschte Aktionen.
Die Landwirte reagieren mit dem Streik auf die Sparpläne der Bundesregierung. Was wird ein solcher Streik in dieser Hinsicht überhaupt bringen?
Das ist im Moment schwer zu sagen. Ein Teil der Sparpläne gegen die Landwirtschaft wurde bereits letzte Woche von der Regierung zurückgenommen. Gibt die Regierung nun nochmals nach, sieht das nach einem Einknicken aus. Allerdings ist die Lage der deutschen Regierung sehr ungemütlich, da sich diverse Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen aus den Bundesländern, auch solche die der SPD angehören, mit den Bauern solidarisiert haben und die Regierung offen auffordern, die Sparpläne ganz zurückzunehmen. Dies ist ein grosser Erfolg für die demonstrierenden Bauern.
Was schätzen Sie grösser ein: den Imageschaden für die Bauern oder die Erfolgschancen, dass die Branche mit ihren Anliegen gehört wird?
Es kann immer noch auf beide Seiten kippen. Gelingt es den Bauern, die Proteste friedlich und geordnet zu halten, und ergibt sich eine breite Welle der Solidarisierung mit den Demonstrierenden, könnte ein grosser Erfolg resultieren. Sollten die Demonstrationen aber ausarten und die Bevölkerung auf breiter Front entnervt von der Protestbewegung distanzieren, kann es schnell auch eine negative Entwicklung nach sich ziehen.
Solche Szenen gibt es nicht nur in Deutschland, auch in der Schweiz gab es in den 1990er-Jahren Bauernstreiks, wo es teilweise heftig zu und her ging und mehr Unterstützung seitens des Bundesrats eingefordert wurde. Wären solche Streiks nun auch in der Schweiz wieder möglich?
Im Moment sicher nicht. Die Schweizer Landwirtschaft pflegt sehr gute Kontakte zum Parlament, zum Bundesrat und zur Verwaltung. Wir werden gehört und können unsere Anliegen einbringen. Zudem führen wir in der Wirtschaftsallianz auch einen konstruktiven Austausch zu Marktfragen und den wirtschaftsrelevanten Themen. Unsere Bauernfamilien sind in der Schweiz ein wichtiger Teil der Gesellschaft, der Politik und der Wirtschaft.
Einzelne Vertreter aus der Schweiz waren auch in Konstanz vor Ort. Welche Reaktionen wurden an Sie herangetragen?
Letzte Woche wurde ich verschiedentlich angefragt, ob der Schweizer Bauernverband auch Handlungsbedarf bei uns sieht – und ob wir etwas organisieren. Mit den vorstehenden Erklärungen waren aber dann alle zufrieden und haben unsere Position verstanden.
In der Schweiz sitzen viele Landwirte in der Politik. Dennoch fühlen sich viele Landwirte unverstanden. Ein Widerspruch?
Auch die Bäuerinnen und Bauern in der Schweiz haben Sorgen und Anliegen. Dies ist normal. Die Frage ist, auf welchem Weg wir unsere Anliegen einbringen können. Wir sind in der Schweizer Politik gut verankert. Dies präsentiert sich in Deutschland im Moment grundlegend anders. Deshalb sind die Instrumente, die zur Vertretung der Interessen gewählt werden, auch so unterschiedlich.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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