Während der mediale Shitstorm über ein Davoser KMU hereinbricht, wäre es sinnvoll, sich seriös Gedanken über den konkreten Sachverhalt und die Rechtslage zu machen. Dies gilt auch für Medienschaffende, findet unser Autor.
Seit Anfang Woche ist – könnte man meinen – der Teufel los in Davos. Und in der Schweizer Medienlandschaft, ausgelöst durch den Aushang eines KMU bei der Davoser Bergbahn Pischa. Am Sonntag, 11. Februar 2024 prangte dort offenbar am Eingang der Bergstation – einer Kombination aus Gastrolokal und Vermietungsstelle für Wintersportartikel – folgender Aushang (Übersetzung aus dem Hebräischen durch den jüdischen Stadtzürcher FDP-Gemeinderat Jehuda Spielman): «Aufgrund verschiedener sehr ärgerlicher Vorfälle, darunter der Diebstahl eines Schlittens, vermieten wir keine Sportgeräte mehr an unsere jüdischen Brüder. Dies betrifft alle Sportgeräte wie Schlitten, Airboards, Skis und Schneeschuhe.»
Rasch springen die Medien auf den Fall auf. Politiker und Antirassismusbeauftragte äussern sich, darunter auch die vom Steuerzahler finanzierte promovierte Juristin Giulia Reimann von der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR).
Um transparent zu sein: Der Autor dieses Beitrags befürwortet ein Diskriminierungsverbot einzig eingeschränkt auf staatliche Behörden und (allenfalls) private Marktanbieter mit (Quasi-)Monopolstellung. Alles andere hat in einem liberalen Rechtsstaat, der ja genau von Wettbewerb einschliesslich privater Diskriminierung lebt (ob aus intelligenten Gründen oder Dummheit, ist dabei egal), nichts verloren. Vorliegend äussert er sich aber ausschliesslich zur geltenden Rechtslage. Denn «Abstimmen mit den Füssen» beziehungsweise ihrer Meinung nach verwerfliche Anbieter boykottieren können Konsumenten ohnehin. Womit es sich erübrigt, an dieser Stelle eine Vorlesung in kommunikationsstrategischer Wirtschaftspsychologie zu halten.
Der potentiell verletzte Artikel im Strafgesetz
Der potentiell verletzte Art. 261bis Abs. 5 StGB lautet wie folgt: «Wer eine von ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung verweigert, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»
Die Zugehörigkeit mitunter zu einer Religion muss also der Grund für die Verweigerung sein und der Täter muss in Herabsetzungsabsicht handeln. Zu erinnern ist vorab daran, dass – soweit das Gesetz nicht ausdrücklich auch Fahrlässigkeit unter Strafe stellt – eine Strafbarkeit nur bei vorsätzlichem Handeln mit Wissen und Willen besteht (Art. 12 Abs. 1 StGB). Dieser Vorsatz ist nur schon mit Blick auf den Wortlaut des Aushangs, Indiz für die innere Haltung der Täterschaft, zu hinterfragen, wird darin doch der Terminus «unsere jüdischen Brüder» verwendet – ein Ausdruck, den ein Holocaustleugner kaum von sich gäbe.
Doch auch abgesehen von der fraglichen Herabsetzungsabsicht, die für sich allein stehend die Strafbarkeit entfallen liesse, stellt sich noch immer die Frage, ob nicht ein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Hierzu schreibt Ulrich Weder im Orell-Füssli-Kommentar zum Strafgesetzbuch (N 40 zu Art. 261bis): «Auch die Verweigerung der Erbringung einer für die Allgemeinheit bestimmten Leistung gegenüber bestimmten Gruppen darf nicht strafbar sein, wenn sie aus sachlich gerechtfertigten Gründen erfolgt, wie z.B. im Hinblick auf bisherige ungebührliche oder gar verbotene Verhaltensweisen anlässlich von Zusammenkünften ihrer Angehörigen oder Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gruppen im Lokal.» Weder ist dabei kein Landmann oder Erni Nr. 2, sondern (mittlerweile pensionierter) Leitender Staatsanwalt aus dem Kanton Zürich – also jemand, der in seinem Berufsleben für die Durchsetzung des Strafrechts gesorgt hat.
Diebstahl rechtfertigt keine Pauschalbestrafung
Klar ist: Der Diebstahl eines einzelnen Schlittens rechtfertigt keine Pauschalbestrafung einer gesamten Personengruppe. Trotzdem: Der gestohlene Schlitten scheint nur die Spitze des Eisbergs gewesen zu sein, denn die Betreiberschaft des Pischa hat auf «verschiedene sehr ärgerliche Vorfälle» hingewiesen und diese gegenüber den Medien auch präzisiert. So sollen insbesondere jüdisch-orthodoxe Gäste (den nicht-orthodoxen sieht man ihr Glaubensbekenntnis ohnehin nicht von aussen an) regelmässig ohne pistentaugliche Winterbekleidung Schlitten gemietet und diese auf der Piste liegen gelassen haben, was zu einem erhöhten Personalaufwand geführt hat.
Überdies scheinen sich – wofür es Zeugen geben dürfte – auch andere Gäste im Restaurantteil der Bergstation Pischa nachvollziehbarerweise darüber beschwert zu haben, dass jüdische Gruppen die Terrasse blockiert haben, ohne Speisen oder Getränke zu konsumieren. Mit Blick darauf lassen sich sachliche Rechtfertigungsgründe für das Verhalten der Pischa-Bergbahnbetreiber kaum ernsthaft verneinen – egal, ob die Formulierung auf dem Aushang (der, wie gesagt, immerhin von «unseren jüdischen Brüdern» spricht) nun weise gewählt war oder nicht.
Zu erinnern gilt es daran, dass der (konkrete) Sachverhalt die Rechtslage indiziert. Dies sollte an sich auch eine Juristin mit Doktoratsabschluss wissen, die aus einem EKR-Büro in Bundesbern juristische Ferndiagnosen stellt.
Die Rolle der Boulevardmedien
Die Chancen sind damit intakt, dass nach Abebben des Shitstorms die Staatsanwaltschaft in Graubünden das Verfahren einstellt – dies jedenfalls auf Basis des öffentlich zugänglichen Sachverhalts. Zu hinterfragen ist damit vielmehr die Rolle der Boulevardmedien, namentlich des «Blicks», der unverfroren «Rassismusstrafnorm wurde verletzt» titelt. Auch im gesamten Text fehlt jeder Hinweis auf die Unschuldsvermutung, was mit Blick auf die medienrechtliche Judikatur alles andere als unproblematisch ist, da der nichtjuristische Durchschnittsleser nur mit einer Formulierung bedient werden soll, «die mit hinreichender Klarheit deutlich macht, dass es sich einstweilen um einen blossen Verdacht oder um eine reine Vermutung handelt und dass – bei einer Straftat – eine abweichende Entscheidung des zuständigen Strafgerichts noch aussteht», ansonsten grundsätzlich von einer Persönlichkeitsverletzung nach Art. 28 ZGB auszugehen ist, die sich auf keinen hinreichenden Rechtfertigungsgrund stützen kann (BGer 5A_658/2014, E. 7.2.2).
Oder anders ausgedrückt: Möchte ein Medium einen Davoser an seinen Worten aufhängen, muss es auch die eigenen Worte mit Bedacht wählen.
Hinweis: Die in diesem Text geäusserten Meinungen und Ansichten sind jene des Autors und spiegeln nicht unbedingt die Haltung oder Position der Redaktion.
(Symbolbild: Archiv)
MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.
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