Auch nach der Absage von Susanne Vincenz könnte die St.Galler FDP das Präsidium der FDP Schweiz besetzen. Ob Marcel Dobler an der Spitze ein Vorteil für die Region wäre und welche Auswirkungen das auf die Wahlen 2023 haben könnte, erklärt Sven Bradke, Chefstratege der kantonalen FDP, im Interview.
FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher hat sich entschieden. Sie möchte nicht Nachfolgerin von FDP-Präsidentin Petra Gössi werden. Sie möchte sich auf ihre aktuellen Tätigkeiten konzentrieren.
Dennoch könnte die St.Galler FDP mit Nationalrat Marcel Dobler, der schon früh Interesse bekundet hat, schon bald das Präsidium der FDP Schweiz besetzen. Was würde dies für die Region bedeuten? Und wie sehr sind die Freisinnigen gezwungen, die Weichen neu zu stellen? Wir haben bei Sven Bradke, Chefstratege der kantonalen FDP, nachgefragt.
Sven Bradke, die St.Galler FDP ist mit zwei Personen im Nationalrat vertreten. Beide wurden bzw. werden als Nachfolge für die abtretende Partei-Präsidentin Petra Gössi gehandelt. Haben sich dabei Susanne Vincenz-Stauffacher und Marcel Dobler selbst in Stellung gebracht oder wirkte im Hintergrund auch die Kantonalpartei kräftig mit?
Die Kantonalpartei freut sich, dass wir zwei engagierte Personen im Nationalrat haben, die sich gegebenenfalls auch für höhere Parteiämter zur Verfügung stellen würden. Wir wissen dies sehr zu schätzen, haben aber keinerlei Einfluss darauf genommen. Es war der persönliche Entscheid von Marcel Dobler und von Susanne Vincenz-Stauffacher, ob sie alsdann antreten wollen oder nicht.
Susanne Vincenz spricht von Gräben innerhalb der FDP. Ist der Zustand so schlecht? Ist ein Kurswechsel angebracht?
Die FDP war bis vor kurzem noch top drauf. Sie überzeugte durch gute Ideen, eine kohärente Politik und durch kreative Köpfe. Wahlen wurden gewonnen und Sitze zurückerobert. Auch die erfolgreichen Bundesratswahlen mit Ignazio Cassis und Karin Keller-Sutter sorgten für viel Freude, Dynamik und Fortschritt. Bedauerlicherweise setzten insbesondere die europapolitischen und die ökologischen Themen diesem anhaltenden Aufschwung ein jähes Ende. Es gilt deshalb, die eigene Form wieder zu finden, sich auf die freisinnigen Werte wie Freiheit, Gemeinsinn und Fortschritt zu besinnen sowie notwendige Reformprojekte überzeugend in die politische Arena einzubringen und dafür einig, engagiert und überzeugend zu kämpfen. Politik kann nicht delegiert werden, sie muss aus innerster Überzeugung heraus gestaltet, erarbeitet und umgesetzt werden. Auch für die FDP gilt das Sprichwort: «ohne Fleiss kein Preis».
Jene Personen, die bisher für das Präsidum genannt wurden, vertreten zum Teil sehr unterschiedliche Lager. Kann man also sagen, dass es bei der Wahl der künftigen FDP-Präsidentin bzw. des künftigen Präsidenten nicht primär um eine Personenwahl geht?
Die FDP ist eine demokratische Volkspartei mit autonomen Kantonalparteien und verschiedenen nationalen Gremien. Die Parteipräsidentin oder der Parteipräsident steht zwar formell an der Spitze, die jeweilige Person hat bei der Ausübung ihres Amtes aber keinesfalls uneingeschränkte Freiheiten. Die Kantonalparteien, die nationale Parteileitung, die Bundeshausfraktion und die Mitglieder der Delegiertenversammlung üben allesamt auch Einfluss auf die Gestaltung der freisinnigen Politik aus. Für Wahlen und Abstimmungen ist eine charismatische, sympathische, rhetorisch und medial geschulte sowie strategisch, taktisch und führungsmässig starke Person selbstredend von grossem Vorteil. Sind die Parteipräsidentinnen und Parteipräsidenten aller Parteien doch letztlich bedeutende Image-, Sympathie- und Bannerträger der eigenen Farben, Werte und Einstellungen.
Wie stark wird sich die künftige Person an der Spitze «verbiegen» müssen, um die Freisinnigen zu einen?
Eine Präsidentin oder ein Präsident hat Mehrheiten der Gremien zu achten und diese uneingeschränkt gegen aussen zu vertreten. Auch wenn das eigene Herz und der Verstand anders «ticken». Das ist in der Schweiz das Los gewählter Personen, egal ob es sich um Bundesräte oder um Parteipräsidentinnen oder Parteipräsidenten handelt.
Spüren Sie auch in der kantonalen FDP die Widerstände? Ist man sich auch hier uneins, wohin man die Weichen stellen sollte?
Wir stellen die Weichen bereits in Richtung der nächsten Wahlen. Wir streben eine breite Liste mit guten Kandidatinnen und Kandidaten aus allen Regionen sowie mit einem klaren, verständlichen und erkennbaren Wahlprogramm an.
Welche Vorteile würden für den Kanton oder die Ostschweiz entstehen, könnte das Präsidium mit Dobler besetzt werden?
Personen aus der Kantonalpartei, die in Bern politisch wichtige und medial beachtete Ämter bekleiden, sind auf Wahllisten üblicherweise wertvolle Stimmensammler. Der Bekanntheitsgrad einer Kandidatin oder eines Kandidaten ist in unserem demokratischen System ein nicht unbedeutendes Kriterium für einen Wahlerfolg. Jene, die am Wahltag regional oder national schon bekannt sind, haben in der Regel grössere Wahlchancen.
Blicken wir demnach noch auf die nächsten Eidgenössischen Wahlen im Jahr 2023. Mit wie vielen Nationalratssitzen wird die FDP des Kantons St.Gallen dann in Bern vertreten sein?
Wir gehen heute von zwei «stabilen» Nationalratssitzen aus. Hierfür sind aber eine Top-Liste, ein engagierter Wahlkampf und ein allseitiger Einsatz des gesamten St.Galler Freisinns nötig.
Es gibt durchaus Bedenken. Es wird spekuliert, die FDP könnte einen der beiden Sitze verlieren. Wäre also Dobler klar im Vorteil, wenn er als Präsident der FDP Schweiz ins Rennen geht?
Möglicherweise, aber nur dann, wenn diese Person gute Leistungen zeigt, allseits anerkannt ist und wirklich hart arbeitet. Wir gehen heute aber eher davon aus, dass uns ein Präsident helfen würde, die beiden Sitze «sicher» zu verteidigen und weitere Wahlanteile hinzuzugewinnen. Wir würden auch fraglos einen dritten Nationalratssitz nehmen, wenn uns dieser zugeteilt würde
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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