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Beschwerde vor Bundesgericht

Teure Krebsmedikamente: Preistransparenz oder Hinterzimmerabsprachen zwischen Bund und Pharma?

Der «K-Tipp» zieht vor Bundesgericht, um Einsicht in Tarifverträge für eher seltene CAR-T-Zell-Krebstherapien zu erhalten. Der Fall zeigt, wie wichtig ein ökonomisches Verständnis von Marktgesetzen auch für Juristinnen und Juristen ist.

Artur Terekhov am 06. Oktober 2023

Im August 2020 ersuchte ein Journalist der – von der Konsumenteninfo AG herausgegebenen – Publikumszeitschriften «K-Tipp» und «Saldo» gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ) das Bundesamt für Gesundheit (BAG) unter anderem um Zugang zu Dokumenten für die CAR-T-Zelltherapie, eine neuere Blutzellentherapie im Bereich der Krebsbekämpfung, aus denen die real bezahlte Höhe der Vergütungen hervorgeht. Konkret geht es um eine vom Bundesrat gestützt auf das KVG genehmigte Tarifvereinbarung für jene Krebstherapien der Pharmaunternehmen Novartis und Gilead.

Hintergrund solcher Vereinbarungen ist der Umstand, dass Pharmafirmen gerade bei neuen und hochpreisigen Medikamenten den Behörden verschiedener Länder Preise anbieten, die unter dem offiziellen Listenpreis liegen – im klaren Wissen darum, dass beim Bestehen auf höheren Preisen keine Kostenübernahme durch die obligatorische Grundversicherung zu erwarten wäre. Mit der logischen Folge, dass diesfalls das Pharmaunternehmen noch weniger einnehmen würde, denn auf privater Basis würde kaum jemand CHF 370‘755.00 bzw. CHF 379‘500.00 bezahlen.

Es ist dies die Höhe der Listenpreise der vorliegend relevanten CAR-T-Zelltherapien. Wie hoch die (etwas tieferen, aber immer noch sehr hohen) effektiv bezahlten Preise für jene Krebstherapien sind, ist bis heute nicht bekannt. Denn zwar hat Adrian Lobsiger, der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB), die vollständige Offenlegung der Tarifvereinbarung empfohlen. Doch sowohl das BAG als auch die betroffenen Pharmaunternehmen sahen dies anders – und so erliess das BAG eine Verfügung, wonach die Einsicht verweigert werde.

Informationszugang verweigert

Das Bundesverwaltungsgericht ist nun nach über zweijähriger Verfahrensdauer der Position der Pharmafirmen gefolgt und hat «K-Tipp/Saldo» den Informationszugang verweigert. Dabei räumte es im Wesentlichen dem BAG als Fachbehörde ein grosses Ermessen ein und erwog, es sei plausibel, dass im Falle einer Preistransparenz die beiden Pharmaunternehmen sich wieder vom Schweizer Markt zurückziehen würden (BVGer-Urteil A-2459/2021).

Jenes Urteil ist indes noch nicht rechtskräftig, denn der betreffende «K-Tipp/Saldo»-Journalist hat den Fall letzten Monat ans Bundesgericht weitergezogen. Er fordert, was bereits der eidgenössische Datenschützer empfohlen hatte: nämlich den vollständigen Zugang zu den Informationen bzw. der Tarifvereinbarung vom 26. August 2020.

Argumentiert wird dabei in nachvollziehbarer Weise, dass aktuell zwar im Parlament eine Vorlage hängig sei, die – ironischerweise unter dem Deckmantel der Kostendämpfung im Gesundheitswesen – die Transparenz bei Arzneimittelpreisen einschränken möchte. Soweit und solange diese jedoch im Parlament – und allenfalls auch beim Stimmvolk – keine Mehrheit gefunden habe, gelte das aktuelle Recht. Und gemäss diesem gehe das Informationsbedürfnis des Prämienzahlers vor, der durch die obligatorische Krankenversicherung denn immerhin gezwungen wird, jene teuren Arzneimittel mitzufinanzieren. Insoweit und auch aus anderen Gründen habe das Bundesverwaltungsgericht als nationales, erstinstanzliches Gericht mit Sitz in St.Gallen das Recht falsch angewendet.

Deutliche Worte des «K-Tipp/Saldo»-Rechtsvertreters

Dabei findet Rechtsanwalt Karl Kümin, Vertreter des Journalisten und zugleich Redaktor beim «K-Tipp»-Verlag Konsumenteninfo AG, überdies deutliche Worte an die Adresse von Novartis und Gilead: «Das Interesse der Pharmafirmen, die Preise möglichst hoch zu halten, stellt kein überwiegendes schützenswertes Interesse dar, das dem Interesse um Zugang zur amtlichen Information vorgeht.»

Denn mit gutem Grund werden die Behauptungen der Pharmaunternehmen hinterfragt. Ist es wirklich realistisch, dass Novartis oder Gilead im Falle von Preistransparenz wieder ihre höheren Listenpreise verlangen würden? Preise, die zwar auf einem Papier festgelegt wurden, aber effektiv kaum jemand zu zahlen bereit ist?

Durch die bewusst (über)hohe Festlegung von Listenpreisen kann ein Anbieter natürlich stets den Eindruck erwecken, grosszügige Rabatte zu offerieren. Diesen Mechanismus zu erkennen, entspricht eigentlich elementarer Einsicht in Wirtschaftspsychologie und Marketing. Ebensowenig nachvollziehbar ist sodann die Annahme, Novartis und Gilead würden sich wieder aus dem Schweizer Markt zurückziehen, sollten ihre Geheimpreise dereinst publikumsöffentlich werden.

Wirtschaftlich kaum haltbare Annahmen

Welches Interesse soll ein Pharmaunternehmen denn haben, auf den Verkauf von Produkten ausgerechnet im notorischen Hochpreisland Schweiz zu verzichten? Schliesslich beruht auch die Prämisse, Preistransparenz könnte die Arzneimittelpreise in die Höhe treiben, auf – mit Verlaub – ökonomisch kaum haltbaren Annahmen. Seit wann führen Hinterzimmerabsprachen zu günstigeren Preisen?

Je grösser das Angebot (in Korrelation zur Nachfrage), umso tiefer tendenziell die Preise – und umgekehrt. Je freier – und unregulierter – der Markt, umso grösser der Wettbewerb. Auch dabei handelt es sich um empirisch fundierte Naturgesetze der Ökonomie, die am Bundesverwaltungsgericht offenbar nicht ohne Weiteres voraussetzbar sind.

Schon 2014 hat jenes Gericht behauptet, bei Potenzmitteln wie Viagra und Alternativprodukten bestehe ein Schamfaktor, sodass kein freier Wettbewerb mehr bestehe, womit das Kartellrecht auf die Pharmafirmen erst gar nicht anwendbar sei. Das Bundesgericht seinerseits hielt demgegenüber deutlich fest, dass auf dem Heilmittelmarkt durchaus Wettbewerb bestehe, auch wenn ein geringerer als auf einem weniger regulierten Markt. Ergo müssen sich auch Pharmaunternehmen selbstverständlich ans Kartellgesetz halten (BGer 2C_80/2014, E. 4).

Jener Entscheid bezog sich – wie erwähnt – auf Potenzmittel, die nicht von der obligatorischen Grundversicherung (KVG) übernommen werden, sondern höchstens einer Zusatzversicherung (VVG). Dass diesbezüglich Wettbewerb spielen kann (und auch spielen muss), ist offensichtlich – und trotzdem wurde dies seinerzeit vom Bundesverwaltungsgericht zunächst verneint. Wie aber soll nun Wettbewerb spielen, wenn die Heilmittelpreise nicht einmal bekannt sind, sondern hinter verschlossenen Türen zwischen Bund und Pharma ausgehandelt und dem – obschon dieser letztlich bezahlen muss – Prämienzahler vorenthalten werden?

Ernüchterndes Fazit von Professorin

Kerstin Vokinger, Gesundheitsrechtsprofessorin an der Universität Zürich, hat in einer Studie jedenfalls alle 51 Medikamente untersucht, die bis Oktober 2020 in der Schweiz mit einem Tarifvertrag-Preismodell auf den Markt gekommen sind. Ihr Fazit ist klar und ernüchternd: Solche Preismodelle bringen weder einen schnelleren noch günstigeren Zugang zu Arzneimitteln.

Eine rechtliche Detailbeurteilung würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Klar sollte jedoch sein: Vom Sachverhalt hängt die Rechtslage ab – und wenn das Bundesverwaltungsgericht zentrale Annahmen trifft, die mit der ökonomischen Realität kaum zu vereinbaren sind, muss dies sinnvollerweise Auswirkungen auf die Rechtsanwendung haben.

Wie auch immer das Bundesgericht entscheiden wird: Sein Urteil wird wegweisende Wirkung für diverse Arzneimittel haben, die von der obligatorischen Grundversicherung bezahlt werden. Denn – auch dies geht aus dessen Beschwerdeschrift hervor – der K-Tipp-Verlag hat diverse weitere Gesuche gestellt, die noch vor dem Bundesverwaltungsgericht hängig sind. Nur am Rande sei diesbezüglich erwähnt, dass entsprechende Zugangsgesuche im Informationsinteresse der Öffentlichkeit auch zu Kostenfolgen führen, wenn man unterliegt.

15'000 Franken Parteientschädigung an Pharmafirmen

So müsste der K-Tipp-Verlag, sollte das Bundesgericht den angefochtenen Entscheid nicht kippen, den beiden – durch die Grosskanzleien Bär und Karrer bzw. Kellerhals Carrard vertretenen – Pharmaunternehmen über 15‘000 Franken Parteientschädigung bezahlen. Rechnet man dies auf eine Vielzahl ähnlicher Zugangsgesuche hoch, ist man rasch bei Kosten im sechsstelligen Bereich. Welche Redaktion aber kann (öfters) solche Risiken eingehen?

Nicht ohne Grund nimmt der K-Tipp-Verlag in seiner Beschwerdeschrift Bezug auf eine Publikation von Arthur Brunner, der jedenfalls bei idealistisch motivierten Beschwerden verfassungsrechtliche Grenzen von Kosten- und Entschädigungsfolgen sieht. Und bei Brunner handelt es sich mitnichten um einen sozialistischen Pharmakritiker, sondern einen ehemaligen Gerichtsschreiber am Bundesverwaltungsgericht und Bundesgericht, der heute SVP-Verwaltungsrichter im Kanton St. Gallen ist. In diesem Sinne ist in diverser Hinsicht mit Spannung auf das bundesgerichtliche Urteil zu warten.

(Symbolbild: Depositphotos)

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Autor/in
Artur Terekhov

MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.

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