Das Alpsteinmassiv ist so etwas wie die Herzkammer der Ostschweiz. Die alpine Idylle ist ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor, allerdings mit Schattenseiten.
Der Säntis wirkt wie das Ergebnis einer Masterarbeit für Marketingfachleute: Die urzeitlichen Gestaltungskräfte der Natur haben ihm ein unverwechselbares Aussehen verliehen, dieses lässt sich vielfältig versilbern. Sein mit Symbolkraft aufgeladener Name wird unter anderem für Spirituosen, für Batterien und für Stehleuchten verwendet.
Der 2501 Meter hohe Säntis ist das emotionsbehaftete Wahrzeichen des Alpsteingebiets. Mit letzterem werden unter anderem mystische Landschaften, gesunde Bergluft, idyllische Bergseen, Brauchtum und Ursprünglichkeit verbunden. Bei Ostschweizern weckt der markante Gipfel Heimatgefühle; und für Ostschweiz-Besuchende aus dem Ausland gehört der Hausberg zum Pflichtprogramm.
Publikumsmagnet
Im Jargon der Marktfachleute besitzt der Säntis eine Unique Selling Position (USP), ein wertvolles Alleinstellungsmerkmal, die ihn zum wirkungsvollen Verkaufsargument macht: Als ikonenhafter Blickfang zieht er, wie das Kloster St. Gallen oder das Matterhorn, Menschen in Massen an. Für gestresste und abenteuersuchende Städter wird der Alpstein zum Sehnsuchtsort. Sie erstrampeln seine Hänge mit dem Mountainbike, erklimmen sie mit Walkingstöcken und schweben von seinen Höhen mit dem Gleitfallschirm in die Tiefe.
Beliebter Gipfel
Der Säntis als optischer Fixpunkt der Ostschweiz gehört zu den schon früh erklommenen Bergen der Schweiz, ab 1680 sind Besteigungen schriftlich belegt. 1842 wurde in der Gipfelregion eine einfache Holzhütte errichtet, die 1846 ein solid gebautes Gasthaus ablöste. Ab 1850 stieg die Besucherfrequenz, um 1900 erklommen an schönen Tagen bis zu 1000 Personen den Gipfel. Gemäss dem Historischen Lexikon der Schweiz wurden zwischen 1868 und 1905 die Zugangswege zum Gipfel sukzessive erweitert.
Seit 1935 bringt eine Luftseilbahn die Gäste in die Höhe. Die Verbindung von der Schwägalp auf den Säntis gehört zu den meist genutzten Bergbahnen der Schweiz. Rund 380 000 Gäste wurden im vergangenen Jahr auf den Gipfel transportiert.
Im 20. Jahrhundert wurde das Alpstein-Gebiet neben der Säntisbahn, auch mit den Luftseilbahnen auf die Ebenalp, auf den Hohen Kasten sowie auf den Kronberg erschlossen.
Zum Unternehmen der Säntis-Schwebebahn AG gehört auch das Hotel Säntis, das neben dem Ausflugstourismus auch für Tagungen und für Seminare genutzt wird. 2023 wurden rund 21 Millionen Franken Umsatz erwirtschaftet.
Wirtschaft in der Bergwelt
Wie es im Historischen Lexikon der Schweiz heisst, wurde der Alpstein ab dem Hochmittelalter für Vieh- und Milchwirtschaft genutzt. 205 Alpbetriebe wurden 1864 alleine auf appenzellischem Gebiet gezählt. Die Gewinnung von Salpeter, Bauholz, Holzkohle, Bienenhonig und Heilkräutern sorgten neben der Milchwirtschaft für Einkünfte, ebenso die Weissküferei sowie die Sennensattlerei. Kurgäste wurden mit frischer Molke bedient.
Im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung entwickelte sich im 19. Jahrhundert der Erholungs- und Kurtourismus. Überreizte Stadtbewohner regenerierten sich gegen Bares in der Alpenwelt. In Gontenbad, Jakobsbad, Rietbad und an weiteren Orten entstanden Kurhäuser.
Zudem konnten sich die Gäste in zunehmend mehr Berggasthäusern verköstigen. Mittlerweile werden im Alpstein in rund zwei Dutzend Gastronomiebetrieben Touristen bewirtet. In der Region wird auch fleissig genächtigt: Im vergangenen Jahr kamen in den Kantonen Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden rund 60 000 Logiernächste zusammen.
Boom durch Social Media
Plätschernde Bergbäche, Glockengebimmel von Kühen und Ziegen sowie eine atemberaubende Fernsicht sind das sinnnlich-erholsame Kontrastprogramm zur digitalen Alltagshektik im urbanen Raum.
Gleichzeitig sind es die von Besuchenden online gestellte Stimmungsbilder - etwa des Äschers oder des Seealpsees - die zusätzliche Menschen in Massen anlocken. Sie sorgen für überfüllte Parkplätze, ein Übermass an Abfällen und verstopfte Strassen.
1,8 Millionen Gäste, die meisten davon Tagesausflügler, besuchten im vergangene Jahr den Kanton Appenzell Innerrhoden. Unter dem Strich waren es wesentlich mehr, der Alpstein liegt auch in den Kantonen Appenzell Ausserrhoden und St.Gallen.
Auf den Ansturm an Gästen will Appenzell Innerrhoden unter anderem mit dem Bau von Hotels reagieren, um so mehr Übernachtungen zu generieren. Auch die Einführung eines Parkleitsystems wird erwogen. Derzeit lassen die Touristen jährlich 125 Millionen Franken in Appenzell Innerrhoden liegen. Jeder sechste Arbeitsplatz im Kanton hängt direkt mit der Ausflugsbranche zusammen.
(Bilder: pd; Adrian Zeller)
Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.