Kerstin Bronner ist seit 2015 zusammen mit ihrem Partner Magdi Harbawy als kulturelle Brückenbauerin in der Oase Bahariya sowie in der Weissen Wüste in Ägypten unterwegs. Die Professorin der Fachhochschule Ost berichtet für «Die Ostschweiz» regelmässig von ihren Erlebnissen in der Ferne.
Die Beiträge hier in der Ostschweiz über unser kulturelles Brückenbauen sind immer wieder eine Gelegenheit für Magdi und mich darüber nachzudenken, was eigentlich das Besondere unserer Reiseangebote (und unserer interkulturellen Beziehung) ist. Nach all den Jahren erscheint uns das, was wir während unseren Reisen« kreieren», manchmal ganz selbstverständlich.
Die Rückmeldungen und Diskussionen mit unseren Reiseteilnehmerinnen und Reiseteilnehmern machen uns dann immer wieder deutlich, wie speziell die Offenheit des Raumes ist, der durch die Weite der Wüste sowie die Tiefe unser beider interkultureller Erfahrungen entsteht. Während der gemeinsamen 10 Tage bildet sich zwischen uns allen das nötige Vertrauen, um Irritationen und «heikle» Fragen oder auch kritische Gedanken über das zunächst «kulturell Fremde» zu äussern und darüber ins Gespräch zu kommen.
«Du könntest darüber schreiben dass eure Kultur von unserem Umgang mit alten Menschen lernen könnte. Wir wiederum können von euch lernen, unsere Bedürfnisse einzubringen und über Gefühle zu reden», sagt Magdi. Tatsächlich hat mein nun 10-jähriges temporäres Mitleben in Bahariya meinen Blick auf unsere gesellschaftliche (Nicht-)Thematisierung von Alter sehr sensibilisiert und es fällt mir immer mehr teilweise halte ich es kaum aus, wie wenig Respekt wir zuweilen alten Menschen entgegenbringen: Langsamkeit und Gebrechlichkeit haben wenig Platz in unserer Gesellschaft, Alter(n) wird eher problematisiert sowie die Pflege von alten Menschen wenig honoriert und schlecht bezahlt.
In Bahariya wird die Weisheit des Alters geehrt, indem ältere Familien- oder Gemeindemitglieder zum Beispiel als Konfliktmoderatoren aufgesucht oder in bestimmten Lebenssituationen um Rat gefragt werden. Sie sind integriert ins alltägliche Leben, haben ihren Platz und ihre Aufgaben. Meinen eigenen Umgang mit meinen mittlerweile sehr betagten Eltern hat dies schon sehr beeinflusst und verändert.
Magdis Hervorhebung unserer Thematisierung von Gefühlen hat womöglich zum Teil auch mit diesem Thema zu tun. Denn eine Art «Kehrseite» dieser Achtung alter Menschen ist dort, dass eigene Bedürfnisse zuweilen wenig Raum haben. Als Magdi mir einmal sagte: «Niemand hat mich je nach meinen Gefühlen gefragt», da war ich erstmal sprachlos.
Die Erziehung lehrt offenbar früh eine Art Orientierung am Allgemeinen, am Sozialen und das Zurückstecken eigener Wünsche. Wenngleich ich dies auf eine Art auch als einen positiven «Gegenpol» zu unserer immer individuumszentrierter werdenden Gesellschaft hier im Westen betrachte, so scheint mir der Preis, eigene Gefühle hintenanzustellen und das Leben in gewissen Teilen sogar fremdbestimmt leben zu müssen, zum Teil auch sehr hoch.
Die nächste Gelegenheit für Sie, unsere interkulturellen Brücken und die damit verbundenen Themen ganz direkt zu erfahren, gibt es im Oktober und Dezember: mehr Infos unter www.wuesten-erlebnis.com
(Bilder : Kerstin Bronner)
Kerstin Bronner ist seit 2015 zusammen mit ihrem Partner, Magdi Harbawy, als kulturelle Brückenbauerin in der Oase Bahariya sowie in der Weissen Wüste in Ägypten tätig. An der OST Ostschweizer Fachhochschule St. Gallen lehrt und forscht sie am Departement Soziale Arbeit als Professorin zu den Themen Interkulturalität, diversitätssensible Soziale Arbeit, Antirassismus, Integrität.
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