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Meinung

Vaterschaftsanerkennung: «Ein Vaterschaftstest sollte Pflicht sein»

Als ein Mann aus Genf erfuhr, dass er nicht der leibliche Vater seiner vermeintlichen Tochter ist, wollte er die Vaterschaftsanerkennung rückgängig machen. Oder juristisch korrekter formuliert: Er focht die Vaterschaft vor Gericht an. Vergeblich - was unser Autor gar nicht gut findet.

Thomas Baumann am 14. Januar 2024

Obwohl selbst die Kindsmutter mit dem Inhalt einverstanden war, bestätigte das Bundesgericht kürzlich die Abweisung der Klage aus formalen Gründen: Der Mann hatte mit deren Einreichen zu lange zugewartet.

Es wäre allerdings verfehlt, allein übertriebenem Formalismus die Schuld an diesem für alle Beteiligten unbefriedigenden Ergebnis zu geben. Des Kern des Problems liegt tiefer — und betrifft das ganze Anerkennungsverfahren.

Der «Beobachter» gibt eine kurze Definition des Anerkennungsprozesses: «Die Vaterschaftsanerkennung ist die freiwillige Willensäusserung eines Mannes, dass er als rechtlicher Vater eines Kindes gelten will.» Sehr akkurat: Das Wort «Wille» kommt darin gleich dreimal vor, das Wort «Nachweis» hingegen überhaupt nicht.

Hauptsache, jemand zahlt

Der Staat hat die Hürden für eine Vaterschaftsanerkennung bewusst tief angesetzt. Irgendeines Beweismittels für die tatsächliche Existenz einer Vaterschaft bedarf es nicht, es genügt eine beim Zivilstandsamt abgegebene Anerkennungserklärung plus die Entrichtung einer Gebühr im zweistelligen Frankenbetrag.

Der Grund ist so einfach wie einleuchtend: Kinder verursachen (neben all dem Positiven, das sie den Eltern bescheren) einen erheblichen finanziellen und nichtmonetären Aufwand.

Gibt es zwei Elternteile, so steigen dadurch die Chancen, dass die Unterhaltskosten für das Kind privat aufgebracht werden können. Sollte ein Elternteil versterben oder erwerbsunfähig werden, dann fungiert der zweite quasi als Versicherung, bevor sich der Staat des Kindes annehmen muss.

Die Existenz eines Kindsvaters hilft somit dem Staat (und damit durchaus auch der Allgemeinheit), sich schadlos zu halten. Die Freude, ein Kind grosszuziehen, kann haben, wer will — Hauptsache er zahlt. So scheint die Devise zu lauten.

Heute wird alles kontrolliert und überprüft, ausser…

Dies steht ganz im Gegensatz zu einer Staatsverwaltung, die je länger desto mehr alles und jegliches reglementiert. Wer die Fenstersimse seines Hauses um fünf Zentimeter verbreitern will, braucht heutzutage schon fast eine Baubewilligung. Wer den Fahrzeugausweis oder das Abgaswartungsdokument seines Kraftfahrzeugs nicht mit sich führt, erhält eine Ordnungsbusse aufgebrummt. Das Auto könnte ja gestohlen oder — Schreck lass nach — die Abgaswerte nicht in Ordnung sein.

Nur, wenn es darum geht, wer der Vater eines Kindes sein darf, möchte der Staat plötzlich nichts mehr von Vorschriften wissen. Ganz im Gegenteil setzt sich der ansonsten mit Freude wiehernde Amtsschimmel gleich selber Scheuklappen auf. Und so herrscht auf den Zivilstandsämtern eine fröhlich-naive Willkommenskultur: «Willst du der Vater dieses Kindes sein? Bitteschön! Dein Wille sei mir Gesetz.»

Der potentielle Kindsvater benötigt für die Anerkennung bloss noch einen Identitätsnachweis der Frau — als minimale Sicherung, dass nicht doch irgendein unbeteiligter Dritter, aus welchen Gründen auch immer, die Vaterschaft für sich reklamiert.

Das Recht, seine biologische Abstammung zu kennen

Ob ein Auto den richtigen Besitzer hat, dass die Abgaswerte stimmen: All das wird heutzutage überprüft. Nur ob derjenige, welcher angibt, der Vater des Kindes zu sein, auch wirklich dessen Vater ist: Ausgerechnet das interessiert die Verwaltung quasi überhaupt nicht.

Kann oder will eine unverheiratete Frau den Namen des Kindsvaters nicht angeben, dann erhält dieses einen Beistand, der die Identität des Vaters in Erfahrung bringen soll. Begründung: Das Kind habe schliesslich das Recht, seine biologische Abstammung zu kennen. Wird der Kindsvater dann doch noch irgendwie gefunden — nein, dann wird das nicht mehr weiter überprüft, dann gilt einfach dessen Wort.

In unserer überreizten Gesellschaft werden überschaubare Probleme zu Schicksalsfragen erhoben: Für gewisse Bevölkerungskreise sei es zum Beispiel «unheimlich wichtig, dass sie nicht falsch gegendert werden», weiss der Psychiater David Garcia Nuñez zu berichten. Eine solche falsche Ansprache wirke traumatisierend und rufe gar Depressionen hervor.

Einfache Lösung für grosses Leid

Wenn aber Kind und/oder Vater nach vielen Jahren entdecken müssen, dass derjenige, den beide für den Vater hielten, in Tat und Wahrheit doch nicht der leibliche Vater ist, so ist das eine zutiefst lebenserschütternde Erfahrung. Dann doch lieber tausend Mal falsch angesprochen werden.

Nicht umsonst ist die Ödipus-Sage eine der stärksten Sagen überhaupt. Natürlich verhält es sich bei Ödipus gerade umgekehrt: Er tötete seinen Vater und zeugte mit seiner Mutter Kinder. Und doch kam auch in seinem Fall das ganze schicksalshafte Verhängnis erst so richtig ins Rollen, als er erfuhr, dass er nicht der leibliche Sohn seiner Adoptiveltern sei (was ihm diese verschwiegen hatten).

Dabei wäre die Lösung heutzutage so einfach wie günstig: Ein Vaterschaftstest als obligatorisch beizubringendes Beweismittel für eine Vaterschaftsanerkennung. 300 Franken pro Test oder rund sechs Millionen Franken bei insgesamt rund 20'000 Vaterschaftsanerkennungen pro Jahr.

Es ist schliesslich doch ein wenig wichtiger zu wissen, dass der mutmassliche Vater eines Kindes auch tatsächlich dessen leiblicher Vater ist, als ob ein Auto den richtigen Besitzer hat. Wer sich wirklich am obligatorischen Vaterschaftstest stört, der kann ja heiraten. Als Ehegatte gilt er automatisch als Vater.

Hinweis: Die in diesem Text geäusserten Meinungen und Ansichten sind jene des Autors und spiegeln nicht unbedingt die Haltung oder Position der Redaktion.

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Autor/in
Thomas Baumann

Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.

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