Andrea Vincenzo Braga. (Bild: zVg.)
Man stelle sich vor, man ist krank und müsste nicht mehr den Gang zum Arzt antreten. Unternehmer Andrea Vincenzo Braga hat genau hierfür die Lösung, über welche er auch am nächsten Networking-Tag in St.Gallen spricht. Im Gespräch erläutert er, was vom sogenannten E-Doctor zu erwarten ist.
Arztbesuche werden von den meisten als mühsam empfunden. Lange Wartezeiten müssen in Kauf genommen, die beruflichen Termine verschoben und die Kinder irgendwo untergebracht werden. Wie praktisch wäre es manchmal, wenn es eine andere Lösung dafür gäbe – via Webcam beispielsweise? Genau hier setzt eedoctors, die virtuelle Arztpraxis, an. Andrea Vincenzo Braga erklärt die modere Telemedizin, was möglich ist – und wo die Grenzen liegen.
Das Gesundheitswesen befindet sich im Wandel, es gibt immer weniger Hausärzte, die Gesundheitskosten steigen. War das der Grund, «eedoctors» ins Leben zu rufen?
Tatsächlich haben gleich einige Gründe dazu geführt. Ein Mitgründer von eedoctors war auf Safari in Tansania und bekam plötzlich hohes Fieber. Ein Arzt war jedoch weit und breit nicht in Sicht – dafür gab es überall Internet. Da kam der Gedanke, wie praktisch es wäre, per Video einen Arzt zu konsultieren. Es war quasi ein logischer Schritt. Zusätzlich bin ich auch seit Jahren in der Standespolitik und bei Verbänden tätig, unter anderem, um das Thema Telemedizin und die bessere Nutzung der ärztlichen Ressourcen vorwärts zu bringen. Die Entwicklung des Ärztemangels sowie die Erhaltung von Fachpersonal müssen wir proaktiv positiv beeinflussen. Es gibt so viele Ärztinnen, welche während und nach der Familienzeit nicht mehr im Beruf sind. Das wichtige Knowhow geht verloren. Wir sollten also vermehrt attraktive Rahmenbedingungen schaffen, um das Berufsbild flexibler zu gestalten. Das ist mit eedoctors möglich. Die Ärzte können individuell und von Zuhause aus arbeiten.
Worin liegt der Unterschied zwischen eedoctors und den bereits gängigen Modellen wie beispielsweise Medgate und Medi24?
Das eine sind klassische Telefonkonsultationen. Sie erlauben eine Beurteilung der Dringlichkeit und die Eruierung des geeignetsten Orts der Behandlung. Es kann keine Diagnose gestellt werden, da der Befund fehlt. Mit der Videodiagnose von eedoctors erreichen wir eine Abschlussdiagnose in 93 Prozent der Fälle. Es kann eine Therapie eingeleitet werden, ein Rezept, eine Arbeits- oder Krankmeldung ausgestellt oder an einen Kollegen oder an ein Labor weiterverwiesen werden. Es ist also eine virtuelle Arztpraxis – mit nur ganz wenigen Sachen, welche bei uns nicht möglich sind.
Die da wären?
Diesbezüglich habe ich mir meine Arbeit am Patienten im Vorfeld ganz bewusst vor Augen geführt. Wie laufen die realen körperlichen Untersuchungen vor Ort in der Praxis ab? Wie oft muss ich den Patienten anfassen, um beispielsweise mögliche Störungen im Bewegungsapparat auszumachen? In etwa 80 Prozent der Fälle führt der Patient meine Weisungen aus – also er turnt beispielsweise etwas vor, zeigt mir die möglichen Bewegungsumfänge, hüpft auf einem Bein oder stellt seine Handflächen auf. Diese Befunde bilden die Grundlage für eine Diagnose. Und sind deshalb auch virtuell möglich. Im akut chirurgischen Bereich, also unter anderem bei Frakturen, können wir bei eedoctors natürlich nicht direkt helfen – können aber dem Patienten geeignete Sofortmassahmen empfehlen und die adäquate Versorgung aufzeigen. Bei akuten Psychosen oder im gynäkologischen Bereich gilt ungefähr dasselbe. Hingegen bei massiven Schmerzen, wie beispielsweise bei Nieren- oder Gallensteinen, einem drohenden Herzinfarkt, können wir die Leute anweisen, direkt in die geeignete Klinik zu fahren, statt eventuell wertvolle Zeit zu vergeuden.
Mit welchen Beschwerden wird eedoctors aufgesucht?
Dies umfasst die ganze Palette der Allgemeinmedizin. Im Winter sind das häufig Erkältungssymptome, Blasenentzündungen, ganzjährig Störungen im Bewegungsapparat, Rückenschmerzen, Augen- oder Hautprobleme. Im Sommer hingegen sind es Zecken- oder Insektenstiche sowie Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Durchfall. Die Zahl der Konsultationen nimmt stetig zu.
Worin liegen die Vorteile von eedoctors im Vergleich zu einem «normalen» Arztbesuch?
Für die Patienten entfallen die lästigen und mühsamen Warte- und Anreisezeiten. Wir sind schnell erreichbar und nehmen uns sehr viel Zeit für den Patienten. Unsere durchschnittliche Konsultationsdauer beträgt 11.30 Minuten. Wir stellen unsere Diagnosen vermehrt durch Fragen (Anamnese), der Patient fühlt sich dadurch ernst genommen.
Mit welchen Vorurteilen haben Sie zu kämpfen?
Es ist klar, dass etwas Neues immer mit Vorurteilen zu kämpfen hat. Bei eedoctors werden uns Fragen gestellt, ob das Angebot seriös sei, ob wirklich kein Roboter dahintersteckt – und von Ärzten, welche kritisch hinterfragen, ob der virtuelle Arztbesuch überhaupt funktioniert, wenn der Patient nicht live vor Ort ist. Wären genügend Hausärzte vorhanden, wäre das alles schön und gut. Ich empfinde das als Hausarztromantik. Leider sind die ärztlichen Ressourcen schon heute stark beschränkt und werden es in Zukunft noch mehr sein. Zudem ändert sich auch das Verhalten der Patienten stark. Diese Herausforderungen müssen proaktiv angegangen werden - ein Umdenken muss stattfinden!
Regelmässige Patienten sind oftmals ältere Leute. Gerade hier dürfte die Hemmschwelle grösser sein, das virtuelle Angebot zu nutzen – nicht zuletzt aus technischer Hinsicht.
Wir sind stolz darauf, dass unsere App sehr benutzerfreundlich ist. Wir wurden sogar mit Silber bei den Swiss Apps Awards in der Kategorie «Design» ausgezeichnet. Es ist keine komplizierte Anwendung, sondern vielmehr selbsterklärend und einfach. Unsere älteste Patientin war bisher 79 Jahre alt, und das Ganze ging problemlos. Uns ist es sehr wichtig, dass der Mensch im Vordergrund steht – und nicht die technischen Affinitäten.
In einem Interview sagten Sie einmal, dass eedoctors auch für Ärzte Vorteile biete – gerade im Hinblick auf das spontane Arbeiten oder Arbeiten von Zuhause aus. Häufig klagen jedoch Ärzte gerade über die ständige Verfügbarkeit. Nimmt der Druck auf die Ärzte somit nicht weiter zu?
Der klassische Hausarzt mit einer eigenen Praxis, der zu 100 Prozent ausgelastet ist, will meist nicht bei eedoctors arbeiten. Hingegen haben sich die Arbeitsweisen und -einstellungen der jungen Ärztinnen und Ärzte stark verändert. Auch die generelle Situation im niedergelassenen Bereich hat sich gewandelt: Der Kampf um die Patienten ist längst vorbei, vielmehr gilt der Kampf um den Doktor. Wir wollen ganz klar die Ressourcen von Ärztinnen und Ärzten im Familienmodell erhalten. Dadurch können Ärzte arbeiten, welche das ansonsten nicht mehr könnten. Im niedergelassenen Bereich kann es eine Möglichkeit sein, Lücken, beispielsweise durch Terminabsagen von Patienten, gewinnbringend mit einer Videokonsultation zu überbrücken.
Ihre Dienstleistungen sind von den Schweizer Krankenkassen anerkannt. Wo befinden sich die Kosten im Vergleich zu den herkömmlichen Konsultationen?
Die Kosten pro Minute sind bei eedoctors gleich wie bei einer Arztpraxis: 3.80 Franken pro Minute. Bei einer durchschnittlichen Behandlungsdauer von 11.30 Minuten ergibt das weniger als 45 Franken – eine Notfallkonsultation liegt hingegen laut SantéSuisse bei 184 Franken. Wir liegen also bei den Kosten massiv günstiger.
Gibt es Pläne, um mit Hausarztpraxen oder Spitälern zusammenzuarbeiten?
Die gibt es. Derzeit arbeiten wir bereits mit dem Kantonsspital Aarau zusammen. Wenn dort die Notfallpraxis überfüllt ist, beispielsweise an Wochenenden oder Feiertagen, erhalten die Patienten den Verweis an eedoctors. Sie entscheiden selber darüber, im Spital stundenlange Wartezeiten in Kauf zu nehmen, oder aber bei eedoctors zeitnah eine Diagnose und, wenn nötig, ein Rezept zu erhalten. Wir arbeiten mit verschiedenen Gruppenpraxen daran, als Ergänzung die Videokonsultation anzubieten.
Wie sehen die weiteren Pläne aus, um das Angebot zu fördern und bekannt zu machen?
Wir befinden uns mitten in der strategischen Vertriebsplanung. Als selbstfinanzierte Unternehmer wollen wir ganz klar die Kontrolle behalten, also geht es in kleinen Schritten vorwärts. Wir arbeiten derzeit an einem Medikamenten-Reminder, welcher bei der Verordnung eines Medikamentes, beispielsweise bei einem Antibiotikum, an die Einnahmezeiten erinnert. Die Diagnostik soll weiter zum Patienten gebracht werden. Wir sind mit einer renommierten Fachhochschule dabei, eine Plattform zu entwickeln, welche die Einbindung von Sensoren und Wearables ermöglicht, um so auch die Messung von Vitalparametern sowie einer vertieften diagnostischen Möglichkeit erlauben und somit die Befunderhebung noch weiter steigert. Gleichzeitig sind wir in Verhandlungen mit einer grossen Labor-Institution, welche einerseits ein engmaschiges Netzwerk an Laboren hat und andererseits bereit ist, mobile medizinische Praxisassistenten zur Verfügung zu stellen, die zu den Patienten fahren, um Blutentnahmen zu machen. Es gibt noch viele Ideen, die (tele-)medizinische Versorgung zu Gunsten der Patienten auszubauen.
Networking-Tag St.Gallen
Andrea Vincenzo Braga ist einer der Referenten am Networking-Tag 2019 in St.Gallen. Dieser findet am Freitagnachmittag, 6. September 2019, statt. Anmeldeschluss ist der 25. August. Weitere Infos unter: www.networkingtag.ch
Andrea Vincenzo Braga. (Bild: zVg.)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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