Hätten sich gewisse Nationalräte schon während der laufenden Legislatur zurückgezogen, wären andere Personen an ihre Stelle gerutscht. Und was wäre eigentlich passiert, hätte Esther Friedli die Wahl in den Ständerat nicht gewonnen?
Der St.Galler FDP-Kantonsrat Walter Locher kann als gewichtiger Politiker bezeichnet werden, als erfahren und vernetzt. Trotzdem wurde er nie Nationalrat. Bei den Wahlen 2015 landete er wohl auf dem ersten Ersatzplatz, jedoch blieben die Türen nach Bern geschlossen. Denn der damalige FDP-Nationalrat Walter Müller zog es vor, die laufende Legislatur ordentlich zu beenden. Er verhinderte damit das Nachrutschen von Jurist Locher ins Parlament.
Aus welchen Gründen auch immer: es kommt immer wieder vor, dass sich amtierende Nationalräte gegen einen vorzeitigen Rücktritt entscheiden und die Amtszeit «normal» abschliessen. Das wohl nicht selten zum Ärger der Politikerinnen und Politiker, die auf dem ersten Ersatzplatz auf ihren Einsatz warten.
Auch dieses Jahr würde sich das Feld der «Bisherigen» anders zusammensetzen, wären andere Entscheidungen gefällt worden.
Ein prominentes Beispiel ist der Arzt Pietro Vernazza, der 2019 auf der GLP-Liste das zweitbeste Resultat erzielte. Für viele überraschend gewählt wurde sein Parteikollege Thomas Brunner. Dieser verabschiedet sich nun bereits nach einer Legislatur aus Bern, wo er keine Akzente setzen konnte. Er tut dies aber nicht vorzeitig, sondern ordentlich, was ein Nachrutschen von Vernazza verhinderte.
Vernazza hat die Partei inzwischen verlassen. Wir haben darüber berichtet.
Auch SP-Kandidat Arber Bullakaj hoffte vergebens darauf, dass eine der beiden SP-Nationalrätinnen, Claudia Friedl oder Barbara Gysi, genug von der nationalen Politik hat und ihm den Sitz «übergibt».
Bullakaj hatte noch eine weitere Hoffnung, nämlich, dass Gysi in den Ständerat gewählt wird. Bekanntlich gelang der Wechsel der Kammer dann aber Esther Friedli von der SVP, was wiederum Michael Götte in den Nationalrat nachrutschen liess. Dies, nachdem Thomas Müller und Barbara Keller-Inhelder – beide erzielten 2019 das bessere Resultat als Götte – verzichteten.
Esther Friedli hat gewissermassen auch eine Nationalrätin Karin Weigelt verhindert. Sie wäre bei der FDP für Susanne Vincenz-Stauffacher nachgerutscht, hätte diese bei den ausserordentlichen Ständeratswahlen im Frühling 2023 triumphieren können.
Ärgerlicher ist die Situation für zwei Personen auf den ersten Ersatzplätzen im Kanton Thurgau. Dort kehren Verena Herzog und Edith Graf-Litscher Bern erst nach Ablauf der aktuellen Legislatur den Rücken. Für SVP-Nationalrätin Herzog wäre Landwirt Daniel Vetterli nachgerutscht, für SP-Nationalrätin Graf-Litscher die Historikerin Nina Schläfli. Schläfli darf sich aber berechtigte Hoffnungen darauf machen, am nächsten Sonntag gewählt zu werden.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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