Die «Prämien-Entlastungs-Initiative» würde die Staatsausgaben stark belasten. Dadurch steigt auch der Druck, das Wachstum der Gesundheitskosten zu begrenzen. Die «Kostenbremse-Initiative» hingegen strebt dieses Ziel direkt an.
Vor einigen Tagen zog SP-Nationalrätin Jacqueline Badran in der SonntagsZeitung vom Leder: Die Kostenbremse-Initiative ebne «den Weg in die Zweiklassenmedizin.»
Grund dafür: «Sie verlangt, dass die Entwicklung der Kosten an die Lohnentwicklung gekoppelt werden muss und damit entkoppelt vom medizinischen Fortschritt und Leistungen. Die Folgen dieser starren Formel wären Leistungsabbau in der Grundversorgung (zumal die gleichen Kreise ja beispielsweise die Medikamentenkosten — also die Pharma — nie antasten).»
Der von der eigenen Partei lancierten Prämien-Entlastungs-Initiative steht sie, wenig überraschend, viel positiver gegenüber. Sie begründet dies in einem geschichtlichen Exkurs: Im Krankenversicherungsgesetz (in Kraft seit 1996) war «eine geteilte Finanzierung vorgesehen: einen Teil via Kopfprämie — und wenn diese mehr als acht Prozent des Einkommens übersteigt, die Finanzierung aus der Kasse der öffentlichen Hand.»
Wie die öffentliche Hand diese Finanzierung selber finanzieren soll, dazu verliert sie kein Wort. Man könnte meinen, eine politische Gegnerin, SVP-Nationalrätin Martina Bircher, hätte ausgesprochen, was Jacqueline Badran denkt, aber nicht zu sagen wagt: «Unsere Aufgabe ist es, den Leuten zu erklären, dass die Initiative der SP am Gesundheitssystem überhaupt nichts ändern wird. Sie bewirkt nur eine Umverteilung.»
Kostenfrage als Achillesferse
Doch nicht alle Linken ignorieren die Kostenfrage derart ostentativ — kein Wunder, ist diese doch die Achillesferse der Vorlage: Scheitert die Initiative, dann scheitert sie an der Kostenfrage.
Aus diesem Grund wird von den Befürwortern gerne auf die Kantone Waadt und Graubünden verwiesen, welche bereits einen Prämiendeckel bei zehn Prozent der Gesundheitsausgaben am Haushalteinkommen eingeführt haben. Tenor der Aussage: ‹Seht her, es funktioniert doch!› Und dies sogar, ohne die öffentliche Hand in den Ruin zu treiben.
Sieht man sich auf der Webseite der SP Schweiz um, trifft man noch auf ein anderes Argument: «Ein Ja zur Initiative [würde] den Druck der Gesundheitskosten weg von der Bevölkerung hin zur Politik verschieben. Bund und Kantone müssten vorwärts machen mit dem Abbau von teuren Pfründen im Gesundheitswesen.»
Eine ähnliche Position vertritt auch die Berner SP-Ständerätin Flavia Wasserfallen. Zwei Tage, bevor sich Jacqueline Badran in der SonntagsZeitung zu Wort meldete, wird Wasserfallen auf dem Nachrichtenportal Watson in indirekter Rede so zitiert: «Der Bund sei unter anderem für die Medikamentenpreise zuständig, die fast ein Viertel der Kosten der Grundversicherung ausmachten. Bei einer Annahme der Initiative müsse der Bund zwei Drittel der Prämienverbilligungen tragen und sei so gezwungen, der Gesundheitslobby stärker entgegenzutreten.»
Während es SP-Nationalrätin Badran also für ausgeschlossen hält, dass der Bund der Pharmalobby erfolgreich entgegentritt, wenn die Gesundheitskosten nicht stärker als die Löhne wachsen dürfen, ist ihre Parteikollegin Wasserfallen umgekehrt der Ansicht, dass der Bund eben gerade gezwungen sei, der Pharmalobby entgegenzutreten, wenn die Krankenkassenprämien bei zehn Prozent des verfügbaren Haushalteinkommen gedeckelt werden.
Lohnwachstum und Einkommen hängen zusammen
Dabei hängen Lohnwachstum und Haushalteinkommen doch eng zusammen: Steigen die Löhne um zehn Prozent, steigen grosso modo auch die Haushalteinkommen um zehn Prozent.
Macht die Krankenversicherungsprämie genau zehn Prozent des Einkommens aus und steigen Löhne und Gesundheitskosten beide gleichermassen um fünf, zehn oder zwanzig Prozent, dann beträgt der Prämienanteil am Einkommen immer noch genau zehn Prozent.
Genau das will die Kostenbremse-Initiative: Steigen Löhne und Haushalteinkommen um zehn Prozent, dann dürfen auch die Gesundheitskosten um maximal zehn Prozent zulegen.
Etwas anders hingegen bei der Prämien-Entlastungsinitiative: Steigen die Gesundheitskosten stärker als die Löhne, dann geht im Falle von Haushalten, bei denen der Prämiendeckel greift, jedes zusätzliche Wachstumsprozent der Gesundheitskosten voll zu Lasten der öffentlichen Hand.
Ein Rechenbeispiel dazu: Monatliches Lohneinkommen von 3000 Franken, Krankenkassenprämie von 400 Franken. Da die Prämie zehn Prozent des Einkommens übersteigt, erhält der Haushalt 100 Franken Prämienverbilligung.
Wachsen Löhne und Gesundheitskosten um je zehn Prozent, dann belaufen sich Einkommen und Krankenkassenprämie neu auf 3300, respektive 440 Franken, die Prämienverbilligung wächst ebenfalls um zehn Prozent auf neu 110 Franken.
Staatsfinanzen überproportional belastet
Steigen die Gesundheitskosten jedoch um zwanzig Prozent, zeigt sich ein anderes Bild: Die Krankenversicherung kostet neu 480 Franken (zwanzig Prozent mehr als 400 Franken), bei einem Einkommen von 3300 Franken. Da jeder Prämienfranken, welcher die 10-Prozent-Einkommenslimite übersteigt, durch die Prämienverbilligung vollumfänglich ausgeglichen wird, beträgt diese neu 150 Franken.
Die zusätzlichen vierzig Franken Prämienerhöhungen, die daher rühren, dass die Gesundheitsausgaben stärker gestiegen sind als die Löhne, gehen in diesem Fall vollumfänglich zu Lasten der Staatskasse. Dies jedoch nur im Falle der Haushalte, bei denen der Prämiendeckel greift. Alle anderen Haushalte müssen den Betrag aus der eigenen Tasche berappen.
Doch auch wenn nicht die gesamten Prämienerhöhungen zu Lasten der Staatskasse gehen: Aufgrund des Hebel-Effekts wachsen die Prämienverbilligungen um ein Vielfaches stärker als die Staatsausgaben.
Ausgaben und Finanzierung im Gleichgewicht
Dadurch tun sich mit jeder Prämienerhöhungen neue Finanzierungslöcher auf. Diesem Problem kann der Staat letztlich nur entgehen, indem er das Wachstum der Krankenversicherungsprämien auf das Wachstum der Löhne und Einkommen begrenzt. In diesem Zustand steigen Löhne, Krankenkassenprämien und Prämienverbilligungen im Gleichschritt.
Da die Steuereinnahmen ebenfalls ungefähr mit der Rate des Einkommens steigen, wachsen auch die für die Finanzierung der Prämienverbilligungen benötigten Mittel im Gleichschritt mit den Prämienverbilligungen. Das System ist im Gleichgewicht.
Wird der Anteil der Krankenkassenprämien am Einkommen auf zehn Prozent gedeckelt, dann kann der Bund nur dadurch verhindern, dass die Prämienverbilligungen stärker als die Wirtschaft und damit auch stärker als die Steuereinnahmen wachsen, indem er das Wachstum der Gesundheitskosten und damit der Brutto-Krankenkassenprämien auf das Wachstum der Löhne und Einkommen begrenzt.
In diesem Punkt berühren sich die beiden Initiativen, welche aus unterschiedlichen politischen Lagern stammen: Sollen die Krankenkassenprämien (nach Prämienverbilligungen) nicht mehr als zehn Prozent des verfügbaren Haushalteinkommens ausmachen und gleichzeitig die Staatsfinanzen langfristig im Lot bleiben, dann dürfen die Gesundheitskosten nach der Deckelung auf zehn Prozent nicht stärker wachsen als die Wirtschaft und die Löhne.
Prämienanteil wird eingefroren
Bei der Kostenbremse-Initiative ist klar, dass dieses Ziel eines langfristigen Gleichgewichts dadurch erreicht wird, dass das Prämienwachstum das Wirtschaftswachstum nicht übersteigen darf. Der Prämienanteil am Haushalteinkommen wird quasi ‹über Nacht› auf dem aktuellen Niveau eingefroren. In gewissen Fällen kann dieses Niveau allerdings höher sein als zehn Prozent des verfügbaren Einkommens.
Anders bei der Prämien-Entlastungs-Initiative: Dort ist durchaus zu erwarten, dass der Prämienanteil am Einkommen bei Gutverdienern weiter steigt. Schliesslich soll das hohe Niveau der Medizin beibehalten werden — das kostet. Nur bei Geringverdienern bleibt der Prämienanteil am Einkommen, wegen der Deckelung bei zehn Prozent, konstant.
Ebendiese Gutverdiener haben zusätzlich noch das ‹Vergnügen›, die wegen der Deckelung notwendigen Mittel für die Prämienverbilligungen mit ihren Steuern zu berappen.
Nationalrätin Badran liegt falsch
In Sachen Konfrontation mit der Pharmalobby dürfte Jacqueline Badran jedenfalls falsch liegen: Der Sparzwang bei der Kostenbremse-Initiative wird in der Realität deutlich höher sein als bei der Prämien-Entlastungs-Initiative. Denn jeder Franken, der nicht bei der «Pharmalobby» oder anderen «Pfründen» eingespart werden kann, muss letztlich als Ultima Ratio beim Leistungsniveau eingespart werden.
Demgegenüber besteht bei der Prämien-Entlastungs-Initiative immer auch noch die Möglichkeit, anstatt das Kostenniveau zu senken, die gestiegenen Kosten ‹einfach› auf die Staatskasse zu nehmen.
Doch ewig kann das nicht aufgehen. Daher berühren sich auch in dem Punkt die beiden Initiativen wieder: Der starke — und durch den Hebel-Effekt noch verstärkte — Druck auf die öffentlichen Haushalte, insbesondere die Bundesfinanzen, würde auch bei der Prämien-Entlastungs-Initiative letztlich dazu führen, dass der Spardruck im Gesundheitswesen zunimmt.
Besser wäre allerdings, das Kostenwachstum zu begrenzen, ohne erst die öffentlichen Haushalte in Schieflage zu bringen.
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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