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Ende der «Plagiatsaffäre»?

Zwei HSG-Professoren müssen gehen: Das steckt dahinter, und warum Regierungspräsident Stefan Kölliker «sehr glücklich» ist

Die Universität St.Gallen beendet die Zusammenarbeit mit zwei Professoren, die der HSG mit ihrem Verhalten massiv geschadet haben. Der zuständige Regierungsrat Stefan Kölliker zum Ende der «Plagiatsaffäre», die einiges mehr ist als das.

Odilia Hiller am 09. Januar 2024
  • Die HSG trennt sich von zwei Professoren: Die Universität St.Gallen beendet die Zusammenarbeit mit Wolfgang Stölzle sowie einem Titularprofessor, die beide am Institut für Supply Chain Management (ISCM), also Lieferkettenmanagement, tätig waren

  • Administrativuntersuchungen und Plagiatsvorwürfe: Die HSG hatte zwei Untersuchungskommissionen eingesetzt, um die Geschäftsführung von Wolfgang Stölzle und die Plagiatsvorwürfe gegen den Titularprofessor zu überprüfen. Die Kommissionen kamen zu dem Schluss, dass beide Professoren die Regeln der wissenschaftlichen Integrität und die dienstlichen Vorschriften verletzt haben

  • Vereinbarungen zum Austritt: Um langwierige und kostspielige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, haben sich die Parteien auf Vereinbarungen geeinigt, die festlegen, dass mit dem Austritt sämtliche Ansprüche beider Seiten bereinigt sind. Der Titularprofessor wird die HSG per Ende April verlassen, Wolfgang Stölzle Ende Juli. Beide sind bis zu ihrem Austritt freigestellt

  • Regierungspräsident Stefan Kölliker, Präsident des Universitätsrats der HSG, nimmt gegenüber der «Ostschweiz» Stellung

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Die Mitteilung der Universität St.Gallen von heute Dienstagmorgen ist ein Kunstwerk aus feinziseliertem Juristendeutsch. Sie ist das Ergebnis der Verhandlungen zwischen der HSG und zwei Professoren, die seit längerem wackelten.

Jedes Komma sitzt, um die Formulierungen dürfte hart gerungen worden sein: «Nach Ansicht der HSG schadet Wolfgang Stölzle dem Ansehen der Universität gem. Art. 41 des Universitätsstatuts insgesamt in schwerwiegender Weise.» Der Angesprochene darf in derselben Mitteilung widersprechen. Die Vorwürfe gegen ihn seien unbegründet, er habe der Universität nie geschadet.

So klingt es, wenn ein Arbeitskonflikt eskaliert ist. Schadensbegrenzung auf allen Seiten dürfte das Motto der Verhandlungen der letzten Tage gewesen sein.

Der Oberholzer-Bericht

In ihrem Untersuchungsbericht vom 2. Mai 2023 hatte die Kommission um den extern beigezogenen Rechtsanwalt Niklaus Oberholzer festgestellt, dass am Institut für Lieferkettenmanagement (ISCM) eine «problematische Führungskultur» bestand. Deren Leiter Wolfgang Stölzle habe sich in mehrfachen Interessenskonflikten zwischen universitätsbezogenen Interessen und seiner privaten Firma befunden.

Ausserdem habe er sich «wiederholt dienstrechtliche Verfehlungen» zuschulden lassen kommen. Gestützt auf den Kommissionsbericht habe die Universität weitere Abklärungen getroffen, Gespräche geführt und eine «Gesamtwürdigung» vorgenommen.

Der NZZ-Artikel

Dass die Untersuchungen durch einen «NZZ am Sonntag»-Artikel vom September 2022 mit dem Titel «Machtballung: Wie sich ein HSG-Professor ein Reich baute» ausgelöst wurden, erwähnt die Mitteilung nicht. In der Recherche wurde damals beschrieben, wie Stölzle private und dienstliche Interessen vermischte, was verschiedene ehemalige Mitarbeitende des Instituts gegenüber der Zeitung ausführlich darlegten.

Davor hatte der Professor und Institutsleiter im Jahr 2021 in der Coronapandemie in den sozialen Medien mit heiklen Nazivergleichen von sich reden gemacht, worüber das «St.Galler Tagblatt» damals berichtet hatte. Ob diese Aktionen ebenfalls Gegenstand der Abklärungen waren, bleibt unklar. Geholfen haben dürften sie ihm nicht.

Plagiatsvorwürfe gegen Stölzles Mitarbeiter

Aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen von der Uni nicht genannt wird der Name des Titularprofessors und engen Mitarbeiters Stölzles, der seinerseits über Plagiatsvorwürfe gestolpert ist. Die HSG-eigene Untersuchung seiner Habilitation ist noch nicht abgeschlossen.

Die Dissertation des Professors wurde an der Technischen Universität Darmstadt verfasst. Diese ermittelt seit Bekanntwerden der Vorwürfe ebenfalls gegen den Professor. Auch das «Tagblatt» hatte seinen Teil zu den Ermittlungen beigetragen, indem es einen eigenen Gutachter beauftragte, der bei der Lektüre der Habilitation zu verheerenden Ergebnissen kam.

Der Professor, der plagiiert haben soll, soll zudem Dutzende Abschlussarbeiten seiner Studierenden in seinem Namen als Erstautor publiziert haben. Vorwürfe, die er zwar bestreitet, jedoch nach dem eigenhändigen Löschen von Publikationen auf der Forschungsplattform der Universität nicht so richtig entkräften konnte. Er beruft sich auf die «damals gelebte Praxis» und beteuert, die Zusammenarbeit mit den einzelnen Studieren habe «konsensual», also einvernehmlich, stattgefunden.

Zum Weggang bewegt

Nun ist es der Universität, wohl nicht zuletzt dank guter inhaltlicher Argumente und Anwälte, gelungen, die beiden Mitarbeiter zum Rückzug aus ihrem Amt zu bewegen. Darüber, ob und wie finanzielle Abfindungen fliessen, wird wie in personalrechtlichen Fällen üblich keine Auskunft gegeben.

Stefan Kölliker

Stefan Kölliker. (Bild: PD)

Stefan Kölliker, Bildungsdirektor des Kantons St.Gallen und Präsident des Universitätsrats, sagt dazu auf Anfrage der «Ostschweiz»: «Die arbeitsrechtlichen Ansprüche der Arbeitnehmer sind eine Tatsache. In dieser Hinsicht kommen wir unserer Verpflichtung als Arbeitgeber vollumfänglich nach.»

Glücklich, sogar sehr glücklich, sei man, dass mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit den beiden Professoren eine verhältnismässig rasche Lösung gefunden worden sei. «Das ist nicht selbstverständlich, zumal zwei Mitarbeiter betroffen sind. Es hat ein Entgegenkommen aller Seiten gebraucht, damit die Vereinbarungen in den vergangenen Tagen unter Dach und Fach gebracht werden konnten.»

Showdown seit Anfang Jahr

Der Showdown zur heute Dienstag kommunizierten Lösung fand also in den vergangenen Tagen statt. Kölliker sagt: «Die Beteiligten konnten ein Zeitfenster nutzen, bevor es auch im Universitätsrat im Rahmen von ordentlichen und ausserordentlichen Sitzungen mit der Behandlung der Angelegenheit weitergegangen wäre.»

Dass dies nun nicht notwendig werde, sei eine Erleichterung für alle, besonders aber für den neuen Rektor Manuel Ammann, der sein Amt am 1. Februar 2024 antritt. Somit sei diese Pendenz auch für ihn vom Tisch, und dieser müsse sich damit nicht mehr beschäftigen, so der Bildungsdirektor.

Ein Rechtsverfahren, das nun vermieden werden konnte und gut und gern zwei bis drei Jahre dauern könnte, bringe zudem stets astronomische Kosten mit sich – nur schon für Anwaltshonorare. Auch unter diesem Aspekt habe man eine «glückliche Lösung» gefunden.

Auch an einer Uni arbeiten nur Menschen

In Bezug auf den für die HSG entstandenen Reputationsschaden sagt Kölliker: «Ein solcher ist definitiv entstanden. Ich wiederhole mich hier seit vielen Jahren: Man kann nie alles ausschliessen, denn an einer Universität arbeiten Menschen.» Im Rahmen des neuen Universitätsgesetzes sei schon vieles neu und zeitgemäss geregelt worden. Mit den nun folgenden Erlassen sowie dem neuen Universitätsstatut seien weitere Präzisierungen möglich, wie mit solchen Fällen umgegangen werden könne.

«Durch die Tatsache, dass nun beherzt, schnell und konsequent reagiert wurde, konnten wir den Schaden jedoch sicherlich minimieren.» Wir übersetzen: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Art. 41 des Universitätsstatuts des Kantons St.Gallen

Wahl, Wiederwahl und sofortige Auflösung

1 Als Ordentliche Professorin oder Ordentlicher Professor ist wählbar, wer habilitiert oder wer gleichwertig ausgewiesen ist.

2 Die Wahl erfolgt auf eine Amtsdauer von acht Jahren. Die Wiederwahl einer Ordentlichen Professorin oder eines Ordentlichen Professors erfolgt nach Überprüfung ihrer oder seiner Eignung in Lehre und Forschung.

3 Schadet eine Ordentliche Professorin oder ein Ordentlicher Professor in Erfüllung ihrer oder seiner Amtspflicht oder in ihrem oder seinem sonstigen Verhalten dem Ansehen der Universität in schwerwiegender Weise, kann sie oder er auch während der Amtsdauer entlassen werden. Im Übrigen werden die Bestimmungen des Staatsverwaltungsgesetzes[4] in der Fassung vor der Änderung durch das Personalgesetz vom 25. Januar 2011[5] über die Auflösung des Beamtenverhältnisses sachgemäss angewendet.

(KI-Karikatur: Bing Image Creator)

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Autor/in
Odilia Hiller

Odilia Hiller aus St.Gallen war von August 2023 bis Juli 2024 Co-Chefredaktorin von «Die Ostschweiz». Frühere berufliche Stationen: St.Galler Tagblatt, NZZ, Universität St.Gallen.

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