Ältere Arbeitnehmer haben es schwer, eine neue Arbeitsstelle zu finden – ist das wirklich so? Hans Rupli, Präsident von focus50plus, über Herausforderungen und Chancen der Generationenfrage.
Hans Rupli, wie bedrohlich ist es, wenn ich mit über 50 Jahren plötzlich die Kündigung erhalte?
Die Schweiz hat laut OECD eine der höchsten Erwerbsquoten für Personen im Alter von 55 bis 64 Jahren. Das bedeutet, dass das Risiko, allein aufgrund des Alters seine Arbeitsstelle zu verlieren, in der Schweiz relativ gering ist. Dennoch gibt es in einigen Unternehmen weiterhin Vorurteile und strukturelle Herausforderungen, die es älteren Arbeitnehmenden erschweren, wieder in den Arbeitsmarkt einzutreten. Die aktuelle demografische Entwicklung bietet jedoch grosse Chancen, da Unternehmen zunehmend auf die Erfahrung und das Wissen älterer Mitarbeitenden angewiesen sind, um den Arbeits- und Fachkräftemangel zu bewältigen.
Angst ist also nicht angebracht?
Nein. Aber es ist auch wichtig, dass sich ältere Arbeitnehmende kontinuierlich weiterbilden und Offenheit gegenüber neuen Technologien zeigen. Dadurch können sie ihre Arbeitsmarktchancen erheblich verbessern.
Sie arbeiten seit mehreren Jahren als Präsident von focus50plus. Wie hat sich der Einfluss von älteren Arbeitnehmenden in der Arbeitswelt entwickelt und auch verändert?
Viele Unternehmen erkennen, dass ältere Mitarbeitende wertvolles Erfahrungswissen und hohe Sozialkompetenzen mitbringen, die für den Erfolg des Unternehmens von grossem Wert sind. Es gibt eine zunehmende Tendenz, altersdiverse Teams zu fördern, um von den vielfältigen Perspektiven, Wertewelten und Fähigkeiten zu profitieren. Zudem wird oft übersehen, dass nicht nur die Arbeitnehmenden, sondern auch die Kunden älter werden. In diesem Kontext sind ältere Mitarbeitende für Unternehmen besonders wertvoll, da sie die Bedürfnisse und Erwartungen einer älter werdenden Kundschaft besser verstehen und darauf eingehen können.
Weshalb tun sich dennoch einige Unternehmen schwer damit, einen älteren Arbeit-nehmenden eine Chance zu geben? Mit welchen Vorurteilen haben die älteren Arbeitnehmenden zu kämpfen?
Zu den Vorurteilen gehören Bedenken hinsichtlich der Flexibilität, der Anpassungsfähigkeit an neue Technologien, der aktuellen Fachkenntnisse oder gesundheitsbedingter Ausfallzeiten.
Sind diese berechtigt?
In den meisten Fällen nicht, da ältere Arbeitnehmende in der Regel sehr motiviert und zuverlässig sind, über viel Erfahrungswissen verfügen und eine hohe Arbeitsmoral haben. Ein weiteres häufig genanntes Argument ist, dass ältere Arbeitskräfte zu teuer seien. Berücksichtigt man jedoch, dass ältere Arbeitnehmende ihre Arbeitsstelle in der Regel seltener wechseln als jüngere, kann dieses Argument relativiert werden. Dennoch engagiert sich focus50plus zusammen mit dem Schweizerischen Arbeitgeberverband, die arbeitsrechtlichen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen zu Gunsten von älteren Arbeitnehmenden zu optimieren und Anreizsysteme für das Arbeiten über das Referenzalter hinaus zu verwirklichen.
Wo könnte man ansetzen, um das Problem anzugehen?
Bis ins Jahr 2030 werden die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer-Generation in Pension gehen. Dadurch verliert die Wirtschaft nicht nur viele Arbeitskräfte, sondern auch deren wertvolles Erfahrungswissen. Unternehmen sind daher gut beraten, eine höhere Altersdiversität in ihren Teams als Chance und Erfolgsfaktor zu erkennen und ihre Strategien entsprechend auszurichten. Um die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Generationen zu fördern, sollten spezifische Investitionen in Unternehmens- und Führungsstrukturen sowie in das Wissensmanagement geprüft werden. Der Wissenstransfer von jungen, aktuell ausgebildeten Mitarbeitenden zu den älteren und umgekehrt sollte gezielt gefördert werden. Anerkennung und Wertschätzung der Arbeitsleistungen helfen, Mitarbeitende stärker an das Unternehmen zu binden. Ein Employer Branding, das Diversität in den Mittelpunkt stellt, kann zudem Vorteile bei der Rekrutierung neuer Mitarbeitenden bieten.
Sie gehören selber in die Kategorie «50plus». Wie unterscheidet sich hier die Theorie von der Praxis? Wie erleben Sie es persönlich im Alltag?
Seit diesem Jahr befinde ich mich sogar im Rentenalter. Als selbstständiger Unternehmer befinde ich mich in einer privilegierten Position. Da ich meine Arbeit liebe, freue ich mich täglich auf neue Aufgaben und Herausforderungen.
Wie können sich denn ältere Arbeitnehmende einbringen, um beispielsweise den Fachkräftemangel abzufedern?
Ältere Arbeitnehmende können ihre Erfahrung und ihr Wissen nutzen, um als Mentoren für jüngere Kollegen zu dienen. Zudem können sie in beratenden Funktionen tätig werden und ihre Expertise in Projekte einbringen, die spezifische Kenntnisse und langjährige Erfahrung erfordern.
Wie unterscheidet sich die Organisationsentwicklung bei Unternehmen mit einem hohen Anteil älterer Mitarbeitenden von denen mit einer jüngeren Belegschaft?
Unternehmen mit einem hohen Anteil älterer Mitarbeitender tendieren dazu, mehr Wert auf strukturierte Wissensweitergabe und Mentoring-Programme zu legen. Sie fördern eine Kultur des lebenslangen Lernens, der gegenseitigen Wertschätzung und nutzen die unterschiedlichen Wertewelten und die Diversität der Generationen als Innovationspotenzial. Jüngere Belegschaften hingegen setzen stärker auf agile, technologiegetriebene Arbeitsmethoden. Eine gute Mischung beider Ansätze kann jedoch besonders erfolgreich sein.
Wie sehen Sie die Zukunft der Arbeit für die Altersgruppe 50plus in den nächsten zehn Jahren? Welche technologischen oder gesellschaftlichen Entwicklungen werden Ihrer Meinung nach den grössten Einfluss haben?
Die Zukunft der Arbeit für die Altersgruppe 50plus wird stark von der fortschreitenden Digitalisierung und dem demografischen Wandel geprägt sein. Technologien wie künstliche Intelligenz und Automatisierung bringen neue Chancen und Herausforderungen mit sich. Die gesellschaftliche Bedeutung der Altersdiversität in der Belegschaft wird weiter zunehmen, da der Arbeits- und Fachkräftemangel Unternehmen dazu zwingt, das Potenzial älterer Arbeitnehmender stärker zu nutzen.
Welche innovativen Ansätze oder Technologien sehen Sie als vielversprechend, um die Integration und Förderung älterer Arbeitnehmender zu unterstützen?
Vielversprechende Ansätze sind beispielsweise flexible Arbeitszeitmodelle und Home-Office-Lösungen, die den Bedürfnissen älterer Arbeitnehmenden entgegenkommen. Weiterbildungsplattformen und E-Learning-Angebote können dazu beitragen, dass ältere Mitarbeitende ihre Kenntnisse und Fähigkeiten kontinuierlich erweitern. Technologien wie Virtual Reality können ebenfalls genutzt werden, um praxisnahe Schulungen und Trainings anzubieten.
(Bilder: Depositphotos/pd)
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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