Appenzell Ausserrhoden erlebt eine spannende Vorwahlzeit. Noch ist punkto Nationalrat nur klar, dass Amtsinhaber David Zuberbühler (SVP) wieder antritt. Aber die Parteien drehen bereits am Rad, und die Leserbriefspalten sind voll - ohne, dass die Auswahl überhaupt bekannt wäre.
Kandidaturen für den 20. Oktober sind mit Ausnahme von Nationalrat David Zuberbühler, der nach vier Jahren wieder will, noch keine bekannt. Aber Protagonisten hat es in dieser Sache ohne Ende. Gerüchte über mögliche Kandidaturen der FDP, SP-Vertreter, die selbst nicht antreten mögen, aber bei der FDP mitsprechen - und Bürgerinnen und Bürger, die das Ganze via Leserbrief kommentieren, aber noch nicht wissen, wie die Auswahl im Herbst überhaupt aussehen wird. Es ist gelinde gesagt verwirrlich. Die Frage ist nur, ob das Teil der Strategie oder reine Not ist.
Zentraler Ankerpunkt ist die FDP. Die war einst in Ausserrhoden allein auf weiter Flur, doch diesen Nimbus hat sie eingebüsst. Spätestens mit dem Verlust des Nationalratssitzes 2015. Es war ein unerwarteter Schlag, und die schmerzen bekanntlich am meisten.
Keine Zersplitterung
Es ist ein offenes Geheimnis, dass die FDP ihren traditionellen Sitz verloren hat, weil die SVP-Wählerschaft ziemlich geschlossen an die Urne ging, während sich die restlichen Stimmen unter FDP und SP aufteilten. Und man muss kein arithmetisches Genie sein, um zu wissen, dass im Oktober 2019 dasselbe wieder passieren könnte. Mitte-Links zersplittert sich, wenn FDP und SP beide einzeln versuchen, der SVP das Wasser abzugraben.
So entstand auch die Idee von FDP und SP, gemeinsame Sache zu machen und mit einer «SP-verträglichen» FDP-Kandidatur gegen David Zuberbühler anzutreten.
Allianzen vor Wahlen nach dem System «Gib du mir, dann gebe ich dir nächstes Mal» sind nicht ungewöhnlich. Allerdings werden sie meist zwischen artverwandten Parteien geschmiedet. Dass die «Wirtschaftspartei» FDP und die SP, die laut Parteiprogramm den Kapitalismus gerne abschaffen würde, zusammenspannen, ist gewöhnungsbedürftig.
Kritik am Vorgehen
Das finden auch einige Leute im Wahlvolk, wie seit Tagen in der «Appenzeller Zeitung» zu beobachten ist. Dort erscheinen bereits im Juni Leserbriefe zu den Nationalratswahlen vom Oktober - ohne dass die konkrete Auswahl überhaupt bekannt wäre. Den Schreibenden geht es nicht um Namen, sondern um das Vorgehen von FDP und SP.
Und bisher fehlen Stimmen, welche die gemeinsame Strategie beklatschen, dafür hagelt es Kritik. Viele scheinen nicht zu verstehen, dass sich zwei Parteien ohne Gemeinsamkeiten für eine Wahl zusammentun.
Das geplante Vorgehen in der Mission «Stürzt dä Zubi» könnte sich als Rohrkrepierer erweisen. Denn zumindest ausserhalb der Parteiführungen gibt des wenig Verständnis dafür, dass bei einer Personenwahl eine Allianz eine Art «kleines gemeinsames Übel» sucht, nur um den Amtsinhaber loszuwerden.
Wahlkampf als Kantonsratspräsidentin?
Die FDP hätte durchaus valable Kandidaturen. Im Fokus steht Kathrin Alder, die frischgebackene Kantonsratspräsidentin. Sie hält sich derzeit bedeckt. Das Problem ist der Zeitpunkt: Ein Kantonsratspräsidium ist eine ideale Plattform für einen Wahlkampf, weil man im Amtsjahr an Bekanntheit zulegt. In aller Regel nutzen Anwärter diese Popularität aber erst nach dem Amtsjahr.
Die Nationalratswahlen finden aber mitten in diesem Amtsjahr statt. Alder müsste im Fall einer Kandidatur also eine Präsidentin für ganz Ausserrhoden sein, sich an vielen Veranstaltungen präsentieren und dabei die Parteipolitik ganz beiseite lassen - und gleichzeitig einen aktiven Wahlkampf führen. Das würde, ohne dramatisch klingen zu wollen, das Kantonsratspräsidium beschädigen.
Dabei wäre eine Frauenkandidatur das perfekte Zugeständnis gegenüber der SP. Noch dienlicher in diesem Sinn wäre eine Kandidatin wie Jennifer Abderhalden von der Ausserrhoder Frauenzentrale, denn Alder gilt als durchaus wirtschaftsfreundlich, Abderhalden käme mit ihrem Engagement für die Sache der Frau der SP wohl näher. Aber es ist fraglich, ob sie die Kandidatin ist, die kantonsweit einen amtierenden Nationalrat besiegen kann.
Prüfstein für Walker
Eine Art Prüfstein ist die ganze Sache auch für Marcel Walker, neuer Kantonsrat, Vizepräsident der kantonalen FDP und zuständig für die Kommunikation. Er scheint den Lead in der Sache übernommen zu haben, FDP-Präsidentin Monika Bodenmann lässt ihn vor, wenn es um Stellungnahmen zur Wahl geht. Walker gilt auch als eine Art aufgehender Stern der Ausserrhoder FDP, er hat mit den früheren Scharmützeln im Kanton wenig zu tun und kann unbelastet wirken. Er dürfte aber auch federführend bei der gewählten Strategie sein, und geht sie nicht auf, wäre das zumindest ein kleiner Makel.
Auch auf die SP kann sich das Ganze auswirken. Ihr Präsident Jens Weber war 2015 selbst Kandidat und damit sozusagen mitverantwortlich für den Wahlausgang. Und nun ist er der eifrigste Fürsprecher des Schulterschlusses mit der FDP. Wenn die Sache aufgeht - und zwar mit einer für die SP tragbaren FDP-Kandidatur - kann er sich vielleicht zunächst einmal feiern lassen, aber spätestens, wenn deutlich werden sollte, dass mit der Wahl keinerlei SP-Positionen ins Bundeshaus getragen wurden, wird sich die Basis wohl Fragen stellen. Denn als Wahlhelfer der FDP sehen sich vermutlich die wenigsten SP-Mitglieder.
Reaktion der SVP
David Zuberbühler hat seinerseits bereits zurückgeschlagen. Er ist bereits in einer Art Vorwahlkampf, hat Plakate aufhängen lassen und signalisiert Präsenz. Sein Team hat offenbar schnell reagiert auf die konzertierte Aktion von FDP und SP. Die Botschaft ist klar: Ausserrhoden hat einen Nationalrat, er tritt wieder an, und was die andern tun, geht die SVP nichts an. Zudem werden weitere Massnahmen noch vor den Sommerferien angekündigt.
Absolut still verhält sich in der Frage Ständerat Andrea Caroni (FDP). Er ist in einer schwierigen Lage. Bisher hat er sich nie über die Zusammenarbeit mit David Zuberbühler beklagt. Kommt seine Partei mit einer Gegenkandidatur, muss er sich entscheiden, ob er diese unterstützt, in dem er die Person zur Wahl empfiehlt oder ob er sich auf den Standpunkt stellt, das sei Sache der Wähler und nicht seine. Stellt er sich offen gegen Zuberbühler, müsste er auch konkret werden, was ihm an dessen Arbeit nicht passt. Es ist zweifelhaft, dass Caroni den Streit mit der SVP sucht, gleichzeitig will er auch die eigene Partei nicht desavouieren.
Gewerweisselt werden darf noch lange, die FDP will erst Mitte August mit ihrer Kandidatur herausrücken. Bis dahin wird es nicht um Namen gehen - sondern um grundsätzliche Fragen.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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