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Bierspezialitäten in Wil

Von Brillengläsern zu Trinkgläsern

Christof Widmer und seine Frau Conny haben einen ungewöhnlichen Berufswechsel vollzogen. Während es zuvor Brillengläser waren, sind es heute Trinkgläser. 

Adrian Zeller am 05. Juni 2018

Beim Besuch im neuen Ladengeschäft an der Unteren Bahnhofstrasse in Wil weist Christof Widmer mit hörbarem Stolz auf einen aktuellen Neuzugang in seinem Sortiment hin, Bierspezialitäten aus Birzai, Litauen. Das Inhaber-Ehepaar, das die Jungunternehmerphase erfolgreich gemeistert hat, wurde von der Brauerei direkt kontaktiert. Mittlerweile wurde es vom Produzenten zum Exklusiv-Importeur für die Schweiz bestimmt, das seinerseits interessierte Schweizer Händler beliefert.

Wer stellt das Bier her?

Damit kommt sozusagen eines der Markenzeichen des Bierhändler-Ehepaars zu Ausdruck: ein vielfältiges Beziehungsnetzwerk innerhalb der weiten Welt des Gerstensaftes. Sie wollen, wenn möglich die Menschen, die hinter einem Bier stehen und die Details zu den verwendeten Rohstoffen und dem jeweiligen Brauvorgang kennenlernen. «Innerhalb der Schweiz haben wir nahezu alle Brauereien, deren Bier wir im Sortiment haben, einmal besucht», erzählt der Mitinhaber.

20'000 Sorten

Obwohl die Schweizer Brauszene in den letzten Jahren wieder vielfältiger geworden ist, setzen Widmers auch auf die internationale Bierkultur. In den Regalen stehen Flaschen aus allen Kontinenten, Äthiopien ist genauso vertreten wie Island. «Bald sollen es 500 Sorten sein.»

Wer denkt, dies sei eine kaum zu überschauende Vielfalt, denkt in zu kleinen Dimensionen: «Ich habe Zugriff auf ungefähr 20'000 Sorten aus aller Welt, aber die können wir natürlich nicht alle an Lager haben.» Ist das nicht bereits bei rund 500 Sorten ein Problem?

Wie Christof Widmer betont, spielt die Frische bei Bier eine wichtige Rolle. Wenn ein Bier monatelang keinen Käufer findet, wird es zum unfreiwilligen Lagerbier - nicht im positiven Sinn. Doch dieses Risiko scheint klein. «Ich weiss, in welcher Jahreszeit welche Art von Bieren gefragt ist, entsprechend bestückte ich das Sortiment.»

Christof Widmer

Christof Widmer hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht.

Vielfältige Fachkenntnisse

Wer sich mit Christof Widmer unterhält oder an einer seiner Degustationen teilnimmt, wird den Verdacht nicht los, ein lebendes Bierlexikon vor sich zu haben. Es scheint kaum ein Detail zu Bier zu geben, das er nicht kennt.

Gemäss seinen Angaben ist dieser Umstand einer der Gründe, weshalb viele Kunden sein Geschäft, und nicht irgendeine andere Getränkehandlung aufsuchen. Sie wünschen fachkundige Beratung oder auch Fachsimpelei. «Manche nehmen deswegen eine einstündige Anreise auf sich.» Christof Widmer kennt die Theorie und die Praxis, er besitzt eine eigene Braulizenz und braut gelegentlich mit Vereinen und Firmen als Tagesevent.

Nur schon mit dem Betrachten der unterschiedlichen Etiketten sowie der Flaschenformen in den Regalen könnte man Stunden verbringen. Dabei wird eines deutlich: Bierproduzenten sind kreative oder sogar verspielte Leute, die Etiketten sowie die Vielfalt der Brauzutaten zeugen von viel Fantasie und Originalität.

Durstige und Geniesser

Gemäss dem Fachmann gibt es zwei wichtige Unterscheidungskriterien für Bier: Trinkbiere und Genussbiere. Während erstere primär als Durstlöscher getrunken werden, sind letztere oft aromaintensiver und nicht unbedingt gleichermassen süffig.

Dass Christof Widmer nie mit seinem Wissen prahlt, macht es angenehm, ihm zuzuhören. Aus ihm scheint weniger ein geschickter Verkäufer, als vielmehr ein eingefleischter Bierfan zu sprechen. «Mein Interesse ist eine Leidenschaft, die aber wenig mit Leiden zu tun hat», meint er scherzend.

Doch mit so einer Passion kommt man kaum zur Welt, wie und wann erwachte sie? «Mit dem ersten Bier, das mir mein Vater mit 16 bezahlte. Später interessierte man sich auf Reisen für das regionale Bierangebot.» Bis aus diesem Interesse eine Art Berufung wurde, dauerte es Jahre.

Erste Anfänge

Im November 2013 eröffneten Conny und Christof Widmer ihren Laden in der Wiler Altstadt. Damals hatten sie rund 200 Biere vorrätig. Ihr Geschäft war lediglich am Freitag und Samstag geöffnet, beide arbeiteten daneben in Teilzeit als Augenoptiker.

Ab 2016 nahm das Geschäft seinen Vollbetrieb auf. In dieser Zeit konnten die Ehepartner nacheinander ihre Zertifikate als national und international anerkannte Biersommeliers an die Wand hängen.

Anstrengende Umstände

Das ehemalige Geschäft an der Kirchgasse hatte eine romantische Note, aber vor allem für die, die dort geniessen, nicht aber dort arbeiten mussten. Christof Widmer erzählt von steilen Treppen, auf denen die Kisten vom Lager hoch in den Laden geschleppt werden mussten.

Zudem war das Degustationslokal für Gästegruppen aus Platzgründen an einem anderen Ort gelegen, alles in allem eine logistische Herausforderung.

Am neuen Standort ist der Platz sehr viel grosszügig bemessen und das alltägliche Hantieren ist weit weniger umständlich. Dafür ist die alltägliche körperliche Ertüchtigung reduziert, wie Christof Widmer scherzend anmerkt und seiner Frau zuruft: «Nun müssen wir halt anderweitig für unsere Fitness sorgen.» Für die geistige Fitness ist bereits gesorgt: Ab Sommer wird Conny Widmer an einem Sensorik-Lehrgang auf Fachhochschulstufe teilnehmen.

Conny Widmer

_Conny Widmer in ihrem Element. _

Alkohol in Massen

Im Gegensatz zur Degustation von Wein oder Spirituosen, muss Bier gemäss Christof Widmer bei der Verkostung getrunken werden. Andernfalls werden das Bouquet und das Aroma nicht vollständig erfasst. Es gehört zu ihrem Job, dass jede Woche mehrere neue Bierangebote zu prüfen. «Um die Menge des konsumierten Alkohols zu begrenzen, haben wir zwei alkoholfreie Tage in der Woche eingeführt.»

Nicht nur Bier

Eine letzte Frage bleibt: Wenn man den ganzen Tag von Bier umgeben ist, vergeht einem da nicht ab und zu die Lust und der Durst auf den Gerstensaft? «Auch privat trinken wir ab und zu eine auf die Situation abgestimmte Flasche», erklärt der Experte und fügt mit einem schalkhaften Lächeln an: «Wenn wir Gäste haben, hole ich gelegentlich auch eine Flasche Wein aus dem Keller.»

Weitere Informationen gibt es hier.

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Autor/in
Adrian Zeller

Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.

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