Nach zwölf Jahren ist Schluss: Bundesrätin Doris Leuthard verlässt den Bundesrat per Ende Jahr. Damit entsteht eine Doppelvakanz. Die Chancen der Ostschweiz auf einen Sitz im Bundesrat sind intakt. Und: Auch bisher selten genannte Namen könnten plötzlich ins Spiel kommen.
Es war gemunkelt worden, nun ist es offiziell: Die Schweiz braucht auf das nächste Jahr zwei neue Bundesratsmitglieder. Nach Johann Schneider-Ammann hat nun auch Doris Leuthard ihren Rücktritt auf Ende Jahr bekanntgegeben.
Ihr Entscheid fällt mitten in die Debatte um die mögliche Wahl von Ständerätin Karin Keller-Sutter anstelle von Schneider-Ammann. Auch bei der Leuthard-Nachfolge drängt sich der eine oder andere Name aus der Ostschweiz auf. Allen voran der St.Galler Regierungsrat Beni Würth und die Thurgauer Ständerätin Brigitte Häberli. Mit der Wahl einer Ostschweizer Doppelvertretung ist aber nicht ernsthaft zu rechnen.
Der Sitz von Doris Leuthard wird von der Bundesversammlung zuerst ersetzt, da sie die amtsältere Bundesrätin ist als Schneider-Ammann. Die Wahl einer Ostschweizer Kandidatur an dieser Stelle würde wohl die - möglichen - Ambitionen von Keller-Sutter zerstören. Bei der CVP steht allerdings ohnehin bisher der Fokus nicht so stark auf die Ostschweiz wie bei der FDP. Dort ist schweizweit die Wilerin seit Jahren an erster Stelle bei jeder Debatte.
In der Bundesversammlung wird man sich diese Gedanken auch machen. Die beste Möglichkeit, eine Bundesrätin Karin Keller-Sutter zu «verhindern», wäre die Wahl von Beni Würth oder Brigitte Häberli für Leuthard. Zwei neue Bundesräte aus St.Gallen: Nicht verboten, aber faktisch nicht denkbar. Zwei Frauen aus der Ostschweiz: Eher, aber immer noch wenig denkbar. Es ist aus der Vergangenheit bekannt, dass solche taktischen Überlegungen oft mehr Gewicht haben als die nach der Eignung einer Person.
Ganz allgemein verschafft die Doppelvakanz den Parteien mehr Luft für Strategien. Bei FDP und CVP ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie sich bei «ihrem» jeweiligen Sitz für eine Doppelkandidatur entscheiden. Für die CVP ist die Lage insofern komfortabler, als sie den Takt vorgibt, weil sie zuerst an der Reihe ist. Gleichzeitig muss sie damit rechnen, dass jemand aus ihren Reihen gewählt wird, der die nachfolgende Ersatzwahl beeinflusst.
Die nächsten Wochen und Monate werden von Zurückhaltung bei den möglichen Kandidatinnen und Kandidaten geprägt sein. Die Karten zu früh offen auf den Tisch zu legen, gibt der «anderen Seite» mehr Zeit, Gegenstrategien zu unliebsamen Kandidaturen auszutüfteln. Der Anspruch von CVP und FDP auf die jeweiligen Sitze gilt als unwidersprochen. Die Frage ist damit nur: Mit wem?
Denn es ist nicht zu vergessen: Auch Leute, die bisher nicht sehr offensiv genannt wurden, könnten mit einem Mal zum Thema werden. Dazu gehören Ständerat Andrea Caroni (FDP, AR), aber auch jemand wie der Innerrhoder CVP-Nationalrat Daniel Fässler. Jüngst hiess es, niemand handle ihn als Bundesrat. Das ist manchmal das beste Vorzeichen, um es zu werden.
Die Chancen der Ostschweiz, wieder in den Bundesrat einzuziehen, sind mit der Doppelvakanz sicher nicht gesunken. Da nun aber mehr Raum für politische Spiele zur Verfügung steht, wächst auch die Gefahr, ein Opfer dieser zu werden. Denn die Debatte, die wir derzeit hier bei uns führen, findet auch in anderen Regionen statt.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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