Die Ostschweiz ist wieder im Bundesrat vertreten. Das freut nach aussen alle. Wie es tief innen aussieht, ist eine andere Frage. Denn mit der Wahl von Karin Keller-Sutter müssen einige ihre Ambitionen begraben, auch wenn sie diese nie offen ausgesprochen haben.
Es gibt keine Kantonsklausel mehr. Die Bundesversammlung kann rein theoretisch die sieben Sitze der Landesregierung komplett ostschweizerisch besetzen. Das ist leider eher unwahrscheinlich. Und auch ohne Kantonsklausel empfinden es viele Parlamentarier als störend, wenn zwei Bundesräte aus demselben Kanton stammen, selbst wenn das die letzten Jahre mit Bern sogar der Fall war. Die Schweiz lebt von Vielfalt, und 26 Kantone wollen sich als Teil des Landes fühlen.
Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass National- und Ständerat bereit wären, über den Schatten zu springen, also zwei St.Galler im Bundesrat zu haben, bedeutet dieser jüngste Wahltag auch für den einen oder anderen in diesem Kanton «Ende Feuer» von etwaigen Bundesratsträumen. Einfach aufgrund der Konstellation.
Allen voran gilt das für Markus Ritter. Der St.Galler CVP-Nationalrat aus dem Rheintal und Bauernpräsident hätte beste Voraussetzungen für den Sprung ganz nach oben. Er ist hervorragend vernetzt, im Parlament einer der Strippenzieher und weiss eine solide Basis hinter sich.
Nur: Der Sitz der CVP wurde gerade durch Viola Amherd besetzt. Bleibt sie die üblichen acht bis zwölf Jahre im Amt, dürfte für Ritter der Zug abgefahren sein. Ob er überhaupt Bundesrat werden will, ist offen, aber es gibt unter den 246 Bundesparlamentariern nicht sehr viele, die das partout ausschliessen.
Dass Ritter dieses Mal für die CVP nicht angetreten ist, dürfte auch damit zu tun haben, dass Karin Keller-Sutter bei der FDP für viele gesetzt war und er wohl aus rein strategischen Gründen nicht gewählt worden wäre - um ihr nicht den Weg zu versperren.
Exakt dasselbe ist vom St.Galler Regierungsrat Benedikt Würth zu sagen, auch er gehört der CVP an, die nur einen Sitz zu besetzen hat - und nach den nächsten Wahlen vielleicht sogar um diesen bangen muss.
Für freisinnige Ostschweizer, die die 50 bereits überschritten haben, ist eine Zukunft im Bundesrat mit einiger Wahrscheinlichkeit ohnehin verbaut. Denn auch der zweite FDP-Bundesrat, Ignazio Cassis, ist noch nicht lange im Amt. Diese beiden Sitze sind damit für Jahre belegt, wenn nichts Ausserordentliches passiert. Was insofern bedauerlich ist, als mit dem Ausserrhoder Ständerat Andrea Caroni ein valabler Kandidat zur Verfügung stünde, der nicht aus St.Gallen kommt.
Etwas besser sieht es links der Mitte aus. Bundesrätin Simonetta Sommaruga ist seit 2010 im Amt, ein Ende ist nicht angekündigt, zeichnet sich aber für die nähere Zukunft ab. Allerdings: Die St.Galler SP-Delegation fällt aus bekannten Gründen aus den Traktanden. Die einzige Option wäre damit die Thurgauer SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher. Hätte sie entsprechende Ambitionen, so hätte sie allerdings in ihren bald 13 Jahren im Parlament vermutlich nachdrücklicher auf sich aufmerksam machen müssen.
Auch bei der SVP wird sich in naher Zukunft eine Vakanz ergeben, wenn Bundesrat Ueli Maurer aufhört. Sein Rücktritt könnte für die grösste Hoffnung der Thurgauer Politik aber sogar zu früh kommen. SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr ist erst vor einem Jahr in den Rat nachgerutscht, und für einige Traditionalisten dürfte auch ihr Jahrgang 1984 gegen eine Bundesratskandidatur sprechen.
Natürlich muss ein neuer Bundesrat, eine neue Bundesrätin nicht zwingend aus der Bundesversammlung kommen. Aber die Wahlen der letzten Jahre haben gezeigt, dass der Weg für solche Leute sehr viel einfacher ist. Es ist eine weite Strecke aus einem kantonalen Regierungsamt in die Landesregierung, wie Karin Keller-Sutter vor acht Jahren erfahren hat.
Derzeit ist es weniger die nicht mehr existierende Kantonsklausel als vielmehr die Gesamtsituation, die bis auf Weiteres einen zweiten Ostschweizer Sitz im Bundesrat verhindert. Aber wir wollen ja ohnehin nicht unbescheiden werden…
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.