IHK-Präsidentin Kris Vietze möchte den Ständeratssitz im Kanton Thurgau wieder in die Hände der FDP holen. Für sie steht fest: «Diese Wahlen sind bedeutend, weil sie die Schweizer Politik in einer entscheidenden Phase bestimmen werden.»
Für die zwei Thurgauer Sitze im Ständerat kandidieren offiziell sechs Personen. Es sind dies die beiden Bisherigen Brigitte Häberli-Koller (Die Mitte) und Jakob Stark (SVP) sowie Gabriela Coray (Wahlkomitee Gabi Coray, WkGC), Stefan Leuthold (GLP), Robin Spiri (Aufrecht Thurgau, AUFTG) und Kristiane Vietze (FDP).
«Die Ostschweiz» veröffentlich in den vergangenen Tagen schriftlich geführte Einzelinterviews mit allen Kandidatinnen und Kandidaten.
Kris Vietze, welchen Sitz würden Sie lieber beerben, jenen von Brigitte Häberli-Koller oder jenen von Jakob Stark?
Den Entscheid, wer den Thurgau in Bern vertreten wird, treffe nicht ich, sondern die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 22. Oktober. Wenn ich von den Wählerinnen und Wählern den Auftrag erhalte, mich für sie in Bundesbern zu engagieren, mache ich das unabhängig und mit aller Kraft – mit wem auch immer an meiner Seite.
Ist Ihre Kandidatur für den Ständerat demnach eine reine Werbeoffensive für den Nationalratssitz, den Sie anstreben?
Nein, ganz klar nicht. Ich bin von meiner Partei als einzige für beide Räte nominiert worden. Es ist eine ernst gemeinte Kandidatur. Unser Land und seine Demokratie gründen auf dem Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger – im gesellschaftlichen Alltag, an ihrem Arbeitsplatz und in der Politik. Ich nehme meine Verantwortung wahr und biete den Bürgerinnen und Bürgern für Ständerat sowie für den Nationalrat eine echte Wahl. Nach zwölf Jahren im Grossen Rat will ich nun meine Erfahrung und mein Wissen in Bern dafür einsetzen, die Interessen der Thurgauerinnen und Thurgauer in Bern zu vertreten
Wie sehr würde Sie eine Wahl – ob nun in den Ständerat oder in den Nationalrat – überraschen?
Ich schätze meine Chance auf einen Sitz in Bern als intakt ein. Dort will ich zum Wohl des Thurgaus wirken. Deswegen würde ich mich über die Ehre freuen, die mir zuteil wird – und mich vor allem gleich an die Arbeit machen. Es gibt viel zu tun.
Sie sagen, dass der Kanton Thurgau in Bern deutlich und klar gehört werden müsse. Kann man daraus folgern, dass das mit den heutigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern aus ihrem Kanton nicht der Fall ist?
Nein, die bisherigen Thurgauer Vertreterinnen und Vertreter im National- und Ständerat haben sich meines Erachtens für unseren Kanton eingesetzt. Jedoch gibt es einige Themen, bei welchen man in Bern zu wenig vorwärtsgekommen ist. Diese Beurteilung ist objektiv begründet und das abtretende Parlament darf, ja muss an seinen Leistungen zugunsten der Schweiz gemessen werden. Stillstand oder Blockaden ergeben keine guten Noten. Im Thurgau sind wir auch abhängig von den Rahmenbedingungen, die im Parlament in Bern entworfen werden. Dabei gibt es spezifische Bedürfnisse, die nicht genügend gehört werden, Beispielsweise die ewige Baustelle BTS oder unsere Haltung zur Entwicklung der Schweiz – denn diese wird auch im Thurgau gemacht, und nicht nur in ein paar grossen Zentren. Und was dort gilt, gilt definitiv nicht zwingend auch bei uns.
In anderen Kantonen greifen die Herausforderer die Bisherigen teils heftig an. Sie bleiben bisher sehr zurückhaltend. Liegt das auch an Ihrer Tätigkeit als IHK-Präsidentin? Sie dürfen es sich wohl kaum mit den Parlamentariern verscherzen…
Auch hier muss ich widersprechen. Einerseits vertrete ich als Politikerin nicht einfach die Positionen der Industrie- und Handelskammer. Schliesslich bin ich seit 12 Jahren FDP-Kantonsrätin mit eigenen, klaren Haltungen und erst seit sechs Monaten IHK-Präsidentin. In der politischen Auseinandersetzung setze ich auf Respekt und tragfähige Lösungen. Polemik und Polarisierung spalten unser Land und bringen uns keinen Schritt weiter. Ich stehe für eine verbindende Politik mit Verantwortungsgefühl, bei der das Wohl der Menschen im Zentrum steht. Andererseits ist die IHK selbst unabhängig. Basierend auf liberalen sowie demokratischen Werten und Fakten nimmt sie Einfluss auf politische sowie gesellschaftliche Themen. Die Ausrichtung der IHK wird von unserem Direktor und dem IHK-Vorstand bestimmt, von dem ich ein Teil bin. Dabei nimmt die Kammer keine Rücksicht auf die Parteizugehörigkeit, wenn es um die Interessen der Mitgliedsunternehmen geht.
In drei kurzen Sätzen: Welches sind Ihre Kernanliegen?
Ich setze mich dafür ein, dass unsere Bürgerinnen und Bürger ein gutes, sicheres und freies Leben führen können. Der Weg dazu: Starke Wirtschaft für sichere Jobs, sichere Altersvorsorge, erstklassige Bildung, intakte Umwelt, schlanker Staat, bezahlbare Energieversorgung.
Welches Wahlversprechen geben Sie ab? Woran dürfte man Sie in vier Jahren messen?
Diese Wahlen sind bedeutend, weil sie die Schweizer Politik in einer entscheidenden Phase bestimmen werden. Steigende Kosten, taumelnde Altersvorsorge, unsichere Energieversorgung, Erosion der Bilateralen Verträge, überall Pflästerli-Politik – statt die Probleme an der Wurzel anzupacken, werden emotionale Scheindebatten geführt. Ich werde mich in diesen schwierigen Zeiten mit aller Kraft dafür engagieren, dass wir machbare und zahlbare stabile Lösungen für unser Land finden.
Einzelne Politexperten rechnen mit Verlusten bei der FDP. Was muss passieren, damit der Freisinn wieder zu einer ähnlichen Kraft wird, wie vor einigen Jahrzehnten?
Der Freisinn steht für bürgerliche Freiheit und Selbstverantwortung, stellt sich gegen Bevormundung und staatlichen Zwang – und sucht bei Problemen nach gutschweizerisch tragfähigen Lösungen. Immer im Wissen, dass alles Geld, das ausgegeben wird, zuerst einmal erwirtschaftet werden muss – und es den Bürgerinnen und Bürgern gehört, nicht dem Staat. Die nächsten Jahre werden wohl schwieriger werden. Konsens, Ausgleich, Stabilität und Realitätssinn werden ungleich mehr Erfolg bringen als ideologisierte Programme, die einfache Antworten auf komplexe Fragen vorgaukeln. Zudem ist unsere Gesellschaft und somit auch die Politiklandschaft stärker fragmentiert, als sie es in den von ihnen beschriebenen Jahren waren. Deshalb muss es das Ziel der FDP sein, auf die eigenen Stärken zu setzen, mit passenden Partnern neue Allianzen zu schmieden und nicht «den guten alten Zeiten» nachzutrauern.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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