logo

Thurgauer Ständeratskandidaten im Interview

Kris Vietze: «Polemik und Polarisierung spalten unser Land und bringen uns keinen Schritt weiter»

IHK-Präsidentin Kris Vietze möchte den Ständeratssitz im Kanton Thurgau wieder in die Hände der FDP holen. Für sie steht fest: «Diese Wahlen sind bedeutend, weil sie die Schweizer Politik in einer entscheidenden Phase bestimmen werden.»

Marcel Baumgartner am 11. Oktober 2023

Für die zwei Thurgauer Sitze im Ständerat kandidieren offiziell sechs Personen. Es sind dies die beiden Bisherigen Brigitte Häberli-Koller (Die Mitte) und Jakob Stark (SVP) sowie Gabriela Coray (Wahlkomitee Gabi Coray, WkGC), Stefan Leuthold (GLP), Robin Spiri (Aufrecht Thurgau, AUFTG) und Kristiane Vietze (FDP).

«Die Ostschweiz» veröffentlich in den vergangenen Tagen schriftlich geführte Einzelinterviews mit allen Kandidatinnen und Kandidaten.

Kris Vietze, welchen Sitz würden Sie lieber beerben, jenen von Brigitte Häberli-Koller oder jenen von Jakob Stark?

Den Entscheid, wer den Thurgau in Bern vertreten wird, treffe nicht ich, sondern die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 22. Oktober. Wenn ich von den Wählerinnen und Wählern den Auftrag erhalte, mich für sie in Bundesbern zu engagieren, mache ich das unabhängig und mit aller Kraft – mit wem auch immer an meiner Seite.

Ist Ihre Kandidatur für den Ständerat demnach eine reine Werbeoffensive für den Nationalratssitz, den Sie anstreben?

Nein, ganz klar nicht. Ich bin von meiner Partei als einzige für beide Räte nominiert worden. Es ist eine ernst gemeinte Kandidatur. Unser Land und seine Demokratie gründen auf dem Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger – im gesellschaftlichen Alltag, an ihrem Arbeitsplatz und in der Politik. Ich nehme meine Verantwortung wahr und biete den Bürgerinnen und Bürgern für Ständerat sowie für den Nationalrat eine echte Wahl. Nach zwölf Jahren im Grossen Rat will ich nun meine Erfahrung und mein Wissen in Bern dafür einsetzen, die Interessen der Thurgauerinnen und Thurgauer in Bern zu vertreten

Wie sehr würde Sie eine Wahl – ob nun in den Ständerat oder in den Nationalrat – überraschen?

Ich schätze meine Chance auf einen Sitz in Bern als intakt ein. Dort will ich zum Wohl des Thurgaus wirken. Deswegen würde ich mich über die Ehre freuen, die mir zuteil wird – und mich vor allem gleich an die Arbeit machen. Es gibt viel zu tun.

Sie sagen, dass der Kanton Thurgau in Bern deutlich und klar gehört werden müsse. Kann man daraus folgern, dass das mit den heutigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern aus ihrem Kanton nicht der Fall ist?

Nein, die bisherigen Thurgauer Vertreterinnen und Vertreter im National- und Ständerat haben sich meines Erachtens für unseren Kanton eingesetzt. Jedoch gibt es einige Themen, bei welchen man in Bern zu wenig vorwärtsgekommen ist. Diese Beurteilung ist objektiv begründet und das abtretende Parlament darf, ja muss an seinen Leistungen zugunsten der Schweiz gemessen werden. Stillstand oder Blockaden ergeben keine guten Noten. Im Thurgau sind wir auch abhängig von den Rahmenbedingungen, die im Parlament in Bern entworfen werden. Dabei gibt es spezifische Bedürfnisse, die nicht genügend gehört werden, Beispielsweise die ewige Baustelle BTS oder unsere Haltung zur Entwicklung der Schweiz – denn diese wird auch im Thurgau gemacht, und nicht nur in ein paar grossen Zentren. Und was dort gilt, gilt definitiv nicht zwingend auch bei uns.

In anderen Kantonen greifen die Herausforderer die Bisherigen teils heftig an. Sie bleiben bisher sehr zurückhaltend. Liegt das auch an Ihrer Tätigkeit als IHK-Präsidentin? Sie dürfen es sich wohl kaum mit den Parlamentariern verscherzen…

Auch hier muss ich widersprechen. Einerseits vertrete ich als Politikerin nicht einfach die Positionen der Industrie- und Handelskammer. Schliesslich bin ich seit 12 Jahren FDP-Kantonsrätin mit eigenen, klaren Haltungen und erst seit sechs Monaten IHK-Präsidentin. In der politischen Auseinandersetzung setze ich auf Respekt und tragfähige Lösungen. Polemik und Polarisierung spalten unser Land und bringen uns keinen Schritt weiter. Ich stehe für eine verbindende Politik mit Verantwortungsgefühl, bei der das Wohl der Menschen im Zentrum steht. Andererseits ist die IHK selbst unabhängig. Basierend auf liberalen sowie demokratischen Werten und Fakten nimmt sie Einfluss auf politische sowie gesellschaftliche Themen. Die Ausrichtung der IHK wird von unserem Direktor und dem IHK-Vorstand bestimmt, von dem ich ein Teil bin. Dabei nimmt die Kammer keine Rücksicht auf die Parteizugehörigkeit, wenn es um die Interessen der Mitgliedsunternehmen geht.

In drei kurzen Sätzen: Welches sind Ihre Kernanliegen?

Ich setze mich dafür ein, dass unsere Bürgerinnen und Bürger ein gutes, sicheres und freies Leben führen können. Der Weg dazu: Starke Wirtschaft für sichere Jobs, sichere Altersvorsorge, erstklassige Bildung, intakte Umwelt, schlanker Staat, bezahlbare Energieversorgung.

Welches Wahlversprechen geben Sie ab? Woran dürfte man Sie in vier Jahren messen?

Diese Wahlen sind bedeutend, weil sie die Schweizer Politik in einer entscheidenden Phase bestimmen werden. Steigende Kosten, taumelnde Altersvorsorge, unsichere Energieversorgung, Erosion der Bilateralen Verträge, überall Pflästerli-Politik – statt die Probleme an der Wurzel anzupacken, werden emotionale Scheindebatten geführt. Ich werde mich in diesen schwierigen Zeiten mit aller Kraft dafür engagieren, dass wir machbare und zahlbare stabile Lösungen für unser Land finden.

Einzelne Politexperten rechnen mit Verlusten bei der FDP. Was muss passieren, damit der Freisinn wieder zu einer ähnlichen Kraft wird, wie vor einigen Jahrzehnten?

Der Freisinn steht für bürgerliche Freiheit und Selbstverantwortung, stellt sich gegen Bevormundung und staatlichen Zwang – und sucht bei Problemen nach gutschweizerisch tragfähigen Lösungen. Immer im Wissen, dass alles Geld, das ausgegeben wird, zuerst einmal erwirtschaftet werden muss – und es den Bürgerinnen und Bürgern gehört, nicht dem Staat. Die nächsten Jahre werden wohl schwieriger werden. Konsens, Ausgleich, Stabilität und Realitätssinn werden ungleich mehr Erfolg bringen als ideologisierte Programme, die einfache Antworten auf komplexe Fragen vorgaukeln. Zudem ist unsere Gesellschaft und somit auch die Politiklandschaft stärker fragmentiert, als sie es in den von ihnen beschriebenen Jahren waren. Deshalb muss es das Ziel der FDP sein, auf die eigenen Stärken zu setzen, mit passenden Partnern neue Allianzen zu schmieden und nicht «den guten alten Zeiten» nachzutrauern.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Marcel Baumgartner

Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.