Das neue St.Galler Spitalmodell wird es schwer haben in den Regionen und vor dem Volk. Aber nicht, weil es besonders gewagt wäre. Im Gegenteil: Das Ergebnis langer Planung ist erstaunlich unkreativ. Es ist kaum etwas anderes als das, was seit Monaten im Gespräch war.
Niemand hat erwartet, dass die St.Galler Regierung in Zusammenarbeit mit dem Lenkungsausschuss der St.Galler Spitalverbunde mit einer eierlegenden Wollmilchsau antanzen würde. Hätten sie auf einen Schlag ein finanzierbares Spitalmodell präsentiert, das von allen Regionen beklatscht wird und die Gesundheitsversorgung sicherstellt: Sie hätte sich das patentieren lassen müssen. Ein solches Modell gibt es nicht. Und entsprechend war immer klar: Liegt ein neuer Vorschlag auf dem Tisch, wird dieser kritisiert werden. Mindestens von einer, eher von verschiedenen Seiten.
Aber selbst wenn man diesen Idealfall ausklammert, bleibt das konkrete Modell namens «4+5» erstaunlich leblos, farblos, frei von jeder neuen Idee. Es ist im Prinzip nichts anderes als ein leicht veränderter Aufguss früherer Ideen aus dem Lenkungsausschuss. Eine Handvoll Spitäler, die den Namen verdienen, eine Handvoll Häuser, die abgespeckt werden: Dasselbe wie früher in Grün. Ob man nun von ambulanten Gesundheitszentren oder Gesundheits- und Notfallzentren oder wie auch immer spricht, es bleibt dieselbe Grundidee.
Und es war nichts anderes zu erwarten. Ein halbes Jahr vor den Wahlen wird die Regierung den Teufel tun und von kompletten Schliessungen sprechen. Und sie will sich auch nicht auf andere Experimente einlassen. Ja, einzelne Regionen mucken bereits angesichts dieses Vorschlags auf, vor allem die ohnehin kämpferischen Wattwil und Flawil. Aber immerhin gibt es mit dieser Variante eine Chance auf eine Volksmehrheit, wenn man dieser erklären kann, dass es anders nicht geht. Bei drastischeren Eingriffen wäre eine Solidarität über die betroffenen Regionen hinaus möglich gewesen, mit einem Scherbenhaufen als Ergebnis.
Aber der Eindruck bleibt: Da wäre mehr möglich gewesen. Flawil zum Beispiel hat das Interesse einer Privatklinikgruppe geweckt. Wattwil träumte von einer Stiftung als neuen Betreiberin, um das Spital erhalten zu können. Beide Ideen für sich mögen schlecht in ein stimmiges Gesamtkonstrukt passen, und das war auch die Begründung der Regierung, um ihnen eine Absage zu erteilen. Aber vielleicht ist das eine typische Staatshaltung. Ein Unternehmer wäre hingegangen und hätte gesagt: Schauen wir mal, wie wir diese spannenden Ansätze in eine neue Struktur einpflegen können - denken wir die Sache komplett neu. Denn jedes Problem ist lösbar. Es gibt beispielsweise Leistungsaufträge, die man mit privaten Anbietern abschliessen kann. Und ist man erst einmal im Gespräch, eröffnen sich oft neue Möglichkeiten. Aber der Verdacht liegt nahe, dass der Grundgedanke einer privaten Beteiligung an der Gesundheitsversorgung schon so unsympathisch war, dass man sich damit nicht weiter befassen wollte.
Abseits von Rettungsmodellen einzelner Spitäler bleibt natürlich die Tatsache, dass der Kanton St.Gallen letztlich einfach zu viele Spitäler hat - mehr als Wahlkreise. Und ebenfalls eine Tatsache ist es, dass der Kanton mit Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden zwei andere Kantone umschliesst, die ebenfalls ihre liebe Not mit der Gesundheitsversorgung haben. Angesichts der aktuellen Situation ein neues Modell vorzustellen, ohne nur wenigstens am Rande die Möglichkeit einer interkantonalen Zusammenarbeit zu erwähnen, ist im Grunde fahrlässig und arrogant. Offenbar haben Regierung und Spitalverbunde auf einem Reissbrett gearbeitet, auf dem es nur den Kanton St.Gallen gibt - und dann munter Töggel hin- und hergeschoben.
Wir wissen nicht, was alles hinter den Kulissen geprüft wurde. Was auf dem Tisch liegt, ist aber glanzlos, einfallslos, mutlos. Mag sein, dass es schwierig ist, grosse Würfe politisch durchzubringen. Aber das weiss man erst, wenn man sie präsentiert. Was wir jetzt haben, ist ein Entwurf, um auf der Grundlage der aktuellen Zahlen so etwas wie einen finanzierbaren Betrieb zu erhalten. Es ist aber nicht das Modell der Gesundheitsversorgung der Zukunft.
Und eigentlich ist das einfach nicht genug.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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