Die Probleme der St.Galler Spitäler begannen 2014, als Kredite von über 800 Millionen Franken für die Erneuerung mehrerer Spitäler beschlossen wurden. Aber wussten die St.Galler überhaupt im Detail, was sie da taten? Wir zeigen auf: Die Abstimmungsbroschüre hat damals falsche Dinge suggeriert.
Die St.Galler Spitäler stecken in argen Nöten, einzelne stehen faktisch vor dem Kollaps. Die Krise ist hausgemacht. Sie basiert auf Krediten, die 2014 gesprochen wurden. Wie sich jetzt zeigt, wäre das vielleicht nicht passiert, wenn die Stimmbürger alle Informationen transparent vor sich gehabt hätten. Doch das war nicht der Fall. Im Gegenteil.
Doch der Reihe nach.
Über 80 Seiten dick war das Abstimmungsbüchlein zur kantonalen Vorlage «Kantonsratsbeschlüsse über die Investitionen in die Infrastruktur der öffentlichen Spitäler» vom 30. November 2014. Kaum jemand liest ein derart episches Werk. Man fokussiert als Stimmbürger, als Laie gewissermassen, auf die wichtigsten Punkte. Und die lauteten: Das Kantonsspital St.Gallen und die Regionalspitäler Altstätten, Grabs, Uznach und Wattwil sollen für über 800 Millionen Franken erneuert werden, die Hälfte davon allein fürs Zentrumsspital St.Gallen. Markig beschwor die St.Galler Regierung die Stimmbürger, man müsse dem zustimmen, ansonsten könne der Spitalbetrieb nicht mehr aufrechterhalten werden. Alternativen, wurde klar gemacht, gab es keine.
Die wichtigste Frage für viele Stimmbürger in solchen Fällen: Wer zahlt? Darüber gab die Abstimmungsvorlage Aufschluss. Für alle Spitäler war die Formulierung im Abstimmungsbüchlein dieselbe, unterschieden nur durch den Betrag (XY):
«Zur Deckung der Kosten wird ein Kredit von XY gewährt. Der Kredit wird der Investitionsrechnung belastet und in folgenden drei Tranchen innert 25 Jahren abgeschrieben.» - Es folgte die Aufschlüsselung der Tranchen.
Es ist dieselbe Formulierung, wie sie beispielsweise beim Kredit fürs Klanghaus Toggenburg verwendet wurde. Und sie ist recht eindeutig: Die Stimmbürger gewähren dem Kanton einen Kredit, der läuft über die Investitionsrechnung des Kantons, der schreibt ihn in einer gewissen Zeit ab. Das ist politischer Alltag, das versteht jeder. So finanziert ein Kanton das, was er braucht.
Ebenfalls in der Botschaft zur Abstimmung wird von einer «einmaligen neuen Ausgabe zu Lasten des Kantons» gesprochen. Auch diese Formulierung ist zweifelsfrei. Die Last liegt beim Kanton.
Unklare Konsequenzen
Und hier beginnt die Krux. Der Kanton trägt die Last? Vorsichtig ausgedrückt war das eine schönfärberische Aussage. Deutlicher gesagt war es schlicht nicht wahr. Denn was irgendwo gut verborgen in der Einleitung zu den über 80 Seiten versteckt wurde, das waren die wirklichen Konsequenzen: Der Kanton hatte keineswegs vor, einfach Geld für seine Spitäler auszugeben. Die sollten dieses zurückzahlen. Und zwar über höhere Nutzungsgebühren, also Mieten, weil die Spitäler ja erneuert wurden und damit an Wert gewinnen. Heute wissen wir: Die Spitäler zahlen mit Faktor 2,5 mehr als zuvor. Jeder kann sich vorstellen, wie das wäre, wenn seine Wohnungsmiete plötzlich zweieinhalb Mal höher ist.
Das ist das, was 2014 passierte. Aber noch vor knapp zwei Monaten verwedelte Gesundheitsdirektorin Heidi Hanselmann die Wahrheit mit einer Behauptung in einem Interview mit dem «St.Galler Tagblatt». Gefragt nach den Gründen für die Situation, sagte sie dort: «Dazu kam 2017 die Übertragung der Immobilien vom Kanton an die Spitalverbunde. Das führte dazu, dass die Spitäler ihre Investitionen selber tragen müssen.» Dabei war schon 2014 beschlossen worden, dass die Spitäler diese Investitionen selber tragen müssen. Und nicht erst 2017. Vor fünf Jahren war es einfach offenbar kaum jemandem bewusst.
Und deshalb lautet die Frage: Haben das die Stimmbürger damals wirklich geahnt, dass es nicht um einen ganz normalen Kredit zulasten des Kantons geht? Konnten sie anhand der Formulierungen wissen, dass die Spitäler dafür bluten würden? Dass fünf Jahre später ihr Spital ums Überleben kämpft?
Auswirkungen unklar
Der Fairness halber: Man kann nicht behaupten, im Abstimmungsbüchlein fehle jeder Hinweis auf eine Belastung der Spitäler. In der Einleitung gibt es einen Absatz, der auf die Frage der Belastung eingeht:
«Die Spitalunternehmen bezahlen dem Kanton jährlich eine Entschädigung für die Nutzung der Spitalgebäude (= Miete). Nimmt der Kanton St.Gallen wertvermehrende Investitionen an den Gebäuden vor, erhöht sich die Nutzungsentschädigung – wie in einem klassischen Mietverhältnis. Auf diese Weise bezahlen die Spitalunternehmen die Investitionskosten des Kantons (Abschreibungsaufwand, Finanzierungskosten) langfristig über Nutzungsentschädigungen zurück.»
Hier ist also festgehalten, dass sich die Nutzungsentschädigung künftig erhöht. Aber nur schon das Wort «Entschädigung» ist angesichts der Grössenordnung ein Hohn. Es ist zweifelhaft, dass der durchschnittliche Stimmbürger (wenn er es überhaupt gelesen hat auf über 80 Seiten) daraus schloss, dass die Kredite, die er hier bewilligte, damit komplett auf die Spitäler überwälzt werden. Und er konnte daraus die Dimension der Mehrbelastung nicht erahnen. Das Stimmvolk ging wohl einfach davon aus, dass die Miete ein bisschen steigt. Aber wenn im Bericht mehrfach die Rede davon ist, die ganze Übung gehe «zu Lasten des Kantons», wie sollte jemand auf die Idee kommen, die Spitäler könnten darunter leiden? Warum stand im Abstimmungsbüchlein nirgends, wie viel teurer die Übung für die Spitäler werden wird - die wichtigste Information überhaupt?
Kanton als Bank
Interessant auch: Der Kanton spielte in dieser Sache gewissermassen Bank. Das nötige Geld für die Bauvorhaben nahm er auf dem Kapitalmarkt auf - gegen Verzinsung. Diesen Unkosten stehen höhere Mieteinnahmen gegenüber, von 25,3 Millionen Franken neu auf 63,8 Millionen Franken pro Jahr, aufgebracht von den Spitälern.
Stolz heisst es im Abstimmungsbüchlein: «Mit diesen Einnahmen kann der Kanton seine Aufwendungen für die gesamte kantonale Spitalinfrastruktur langfristig decken. Nach spätestens 33 Jahren sind die Abschreibungen und Zinskosten vollumfänglich rückfinanziert.» Das gilt jedoch nur für den Kanton, die Spitäler sitzen derweil auf viel höheren Mietkosten. Aber in den Ohren der Stimmbürger klang das Ganze nach einer risikofreien Geschichte. Es wird alles rückfinanziert, bestens! Es hörte sich an wie ein risikofreier Kredit. Wer sollte dazu nein sagen?
Bei den Spitälern, mindestens in der Führungsetage, muss es damals schon Leute gegeben haben, die wussten, was ihnen blühte. Aber niemand wollte aufbegehren, denn zur Erinnerung: Die Alternative waren Spitalschliessungen. Dann lieber die Kröte schlucken und sich später mit dem Problem befassen.
Wahrheit in einem Nebensatz
Und genau deshalb stecken die St.Galler Spitäler aktuell in einer verzweifelten Situation. Sie können die Mehrbelastung nicht tragen, welche ihnen die Stimmbürger 2014 aufgebürdet haben. Die Einnahmen sinken, die Kredite von damals müssen dennoch zurückgezahlt werden.
Ob die Formulierungen in der Abstimmungsvorlage beim Kantonsratsbeschluss juristisch falsch sind, wird wohl kaum je untersucht werden, für eine Abstimmungsbeschwerde ist es zu spät. Doch von wem stammt die Formulierung eigentlich? Wie der St.Galler Staatssekretär Canisius Braun auf die Anfrage von «Die Ostschweiz» betont, sei weder die Regierung noch die Staatskanzlei für den sogenannten «Erläuternden Bericht», eben das Abstimmungsbüchlein, zuständig, sondern das Präsidium des Kantonsrats.
Dieses besteht aus dem Parlamentspräsidenten, seinem Vize, den Stimmenzählern und den Fraktionspräsidenten. Dieses Präsidium redigiert die Schlussfassung der Entwürfe des jeweils zuständigen Departements; in diesem Fall war es das Baudepartement, da es um Baukredite ging. Allerdings redigiert das Präsidium eben nur. Das ist keine eigentliche inhaltliche Prüfung, nur eine redaktionelle Überarbeitung. Die juristischen Ausführungen im Abstimmungsbüchlein werden vom Präsidium nicht kontrolliert, man verlässt sich auf die Autoren aus der Verwaltung. Tragischerweise, muss man heute sagen.
Anfragen abgeblockt
Dabei gab es durchaus warnende Stimmen. Die ehemalige Kantonsrätin Erika Häusermann (GLP) aus Wil hat sich jahrelang mit diesen Fragen befasst. Und - wir haben früher darüber berichtet - sie hat schon vor der bewussten Volksabstimmung thematisiert, dass die Rechnung der St.Galler Regierung nicht aufgeht. Dass die Belastungen für die Spitäler angesichts der sich abzeichnenden Entwicklung zu hoch seien. Im Mai 2014 sprach sie in einer Einfachen Anfrage von einem «unbezahlbaren Klotz am Bein der Spitäler». Ein halbes Jahr vor der Abstimmung.
Die Antwort der Regierung darauf konnte lapidarer nicht sein. Sie verwies auf die Botschaft der Regierung über die Investitionen in die Infrastruktur der öffentlichen Spitäler. Auf die Frage, wie diese Spitäler jemals die hohen zusätzlichen Nutzungsentschädigungen bezahlen sollen, ging sie nicht konkret ein. Häusermann sass damals als Fraktionspräsidentin der GLP/BDP-Fraktion im Präsidium des Kantonsrats und sagt heute, ihre kritischen Rückfragen zu künftigen Finanzierungsproblemen der Spitäer seien dort abgeblockt worden, man habe einfach der Regierung vertraut.
Viel zu optimistisch
Das Stimmvolk wurde noch in anderer Weise getäuscht, ob bewusst oder unbewusst. Im Abstimmungsbüchlein wurde behauptet, die Spitalprojekte seien «für den Kanton finanziell tragbar und die Spitalunternehmen können die höheren Nutzungsentschädigungen finanzieren.» Richtig ist, dass der Kanton die Projekte tragen kann. Er tut es aber nicht selbst. Falsch ist, dass die Spitalbauunternehmen die höheren Ausgaben finanzieren können, wie man heute deutlich sieht. Und der Satz war keineswegs als vorsichtige Prognose formuliert, sondern wie in Stein gemeisselt. Darauf haben die Kantonsräte vertraut - und später das Stimmvolk.
Nun könnte man sagen, die Regierung habe damals schlicht nicht gewusst, wie sich die Gesundheitskosten entwickeln und dass die Spitäler irgendwann nicht mehr in der Lage sein würden, die Nutzungsentschädigungen zu tragen. Auch das ist laut Erika Häusermann, welche die betreffenden Kennzahlen seit Jahren verfolgt, eine Schutzbehauptung. Schon seit 2012 werde mit leistungsbezogenen Fallpauschalen abgerechnet, lange vor der Abstimmung. Dass ambulante Behandlungen zugunsten von stationären immer wichtiger werden und sich der Trend fortsetze, sei ebenfalls damals bereits bekannt gewesen. Und schon damals habe sich für jeden, der sich mit der Materie befasst, abgezeichnet, dass die Situation schlimmer werde.
Ursprünglich 2 Milliarden geplant
Zur Erinnerung: Der Kredit von 800 Millionen Franken sollte ja nur der erste Schritt sein, auch die anderen Spitäler hätten aufgerüstet werden sollen. Wenigstens, bis die Realität auch die St.Galler Regierung einholte. Insgesamt wäre es um gut zwei Milliarden Franken gegangen. Aus heutiger Sicht unvorstellbar.
Ein konkretes Beispiel, um zu zeigen, was 2014 nur schon mit den 800 Millionen Franken wirklich passierte. Das Kantonsspital St.Gallen weist derzeit in der Rechnung eine schwarze Null auf. Doch dort laufen Bauarbeiten, die auf dem Kredit von damals basieren. Danach werden die höheren Nutzungsentschädigungen fällig, eine Folge des 2014 gesprochenen Kredits. Das heisst: Das Zentrumsspital berappt in Zukunft 20 Millionen Franken mehr als heute. Jahr für Jahr für Jahr. Es ist zu bezweifeln, dass selbst das Flaggschiff des St.Galler Gesundheitswesens diese Mehrkosten alleine tragen kann. Erika Häusermann ist sich sicher: «Auch das Kantonsspital muss bald Notkredite beantragen.» Das wäre wohl der Anfang vom Ende der St.Galler Spitallandschaft in ihrer heutigen Form.
Schliessungen nützen kaum
Es geht längst nicht mehr um die Frage, welches Regionalspital geschlossen oder umgenutzt wird. Das ist ein Tropfen auf den heissen Stein. Die Spitäler, egal wie viele es gibt, stecken über viele Jahre bis zum Hals in Schulden durch Erneuerungsprojekte, welche die St.Galler Regierung dem Stimmvolk mit Horrorszenarien förmlich aufgezwungen hat. Selbst wenn pro Spitalregion nur noch ein Spital in Betrieb ist, drückt diese Hypothek schwer auf den Lebensnerv.
Wer hat versagt? Viele Seiten.
Es waren also mehrere Ebenen, die das ermöglichten, was heute Tatsache ist. Die einzigen, die ein reines Gewissen haben dürfen, sind die Stimmbürger. Sie wussten schlicht nicht, zu was sie wirklich Ja sagten.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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