Vereinspräsident Simon Lumpert in Aktion.
In Wil liessen einige Idealisten 2004 ein Jubiläumsbier brauen. Das ist nichts Ungewöhnliches. Die unerwartete Erfolgsgeschichte, die daraus entstanden ist, jedoch schon.
In Anlehnung an das bewährte PR-Motto «Tue Gutes und sprich darüber» könnte man bezüglich dem Wiler Thurbobräu festhalten: «Trinke Bier und tue Gutes». Doch diese zweifelslos unzulässige Verkürzung wird dem Thema nicht gerecht. Ein Quäntchen Wahrheit steckt trotzdem darin. «Jedes Vorstandsmitglied erhältlich jährlich einen Betrag zugeteilt, den es einem Verein seiner Wahl zukommen lässt», erzählt Simon Lumpert. Der Unternehmer im Finanzbereich ist Präsident der Organisation IdéeWil, die hinter Thurbobräu steht. …Dadurch werden jährlich 8000 Franken verteilt.»
Die Begünstigten sind in der Regel lokale und regionale Sportvereine. Dies ist nur einer der positiven Aspekte der jungen Biertradition mit langer Vorgeschichte. Wil wird nicht umsonst als Äbtestadt bezeichnet, in ihr begegnet man früheren Jahrhunderten auf Schritt und Tritt. In ihr hatte etwa der Fürstabt des Klosters St.Gallen mit dem Hof einen wichtigen Verwaltungssitz.
Generationentreff beim Bier
Alljährlich füllen die Thurbobräu -Aktionäre an der Hauptversammlung den Wiler Stadtsaal bis auf den letzten Platz. Es erwartet sie keine fette Dividende, sondern ein unterhaltsamer Abend bei Speis und Trank, Musik und launigen Kurzreferaten.
Mit Thurbobräu wird weder das Aktionariat, noch die Produzenten, noch das Management reich. Es setzt gewissermassen auf Lokalpatriotismus und sorgt auch für gesellschaftlichen Zusammenhalt in der globalisierten Welt. An der Hauptversammlung sitzt der AHV-Bezüger neben dem Lehrling. Und auch politische Gegenspieler vergessen beim Bier vorübergehend ihren Disput.
Vereinspräsident Simon Lumpert in Aktion.
Bierzins
Kurzer Rückblick: Als Wil und umliegende Dörfer 2004 ihre urkundliche Ersterwähnung im Jahr 754 feierten, wollten einige Idealisten für ein besonderes Festbier sorgen. Dessen Braugerste sollte in den entsprechenden Gemeinden angebaut werden. Da Wil seit 1982 keine eigene Brauerei mehr besitzt, wurde man in der Sonnenbräu im Rebstein fündig.
Aus der einmaligen Aktion wurde unerwartet ein Dauerbrenner. Eine Gruppe traditionsbewusster und engagierter Wiler übernahmen die Idee von den Initianten und gründeten einen Verein. Die neue Biertradition sollte nach dem Jubiläumsjahr nicht wie eine Schaumkrone in sich zusammenfallen.
Das Festbier nahm Bezug auf den freien Bauern Rotpald, der 754 sein Anwesen in der Region Wil dem Kloster St. Gallen urkundlich vermachte. Als Lehnszins hatte er unter anderem alljährlich 1150 Liter Bier abzuliefern.
Vereinspräsident Simon Lumpert: «Wir konnten nach dem Jubiläumsjahr von den Initianten ein fertiges Konzept übernehmen, das war für uns reizvoll.» Dass heute jährlich weit über 100'000 Spezli Thurbobräu abgesetzt werden, hat damals niemand geahnt. Obwohl auch 0,5-Liter-Flaschen verkauft werden, wird die Absatzmenge aus praktischen Gründen in Spezli berechnet. Die neue Biermarke geriet in einen Trend, für den die Zeit reif schien, in die lokale Verankerung. Immerhin bewerben auch Grossverteiler verschiedene Lebensmittel mit dem Slogan «us dä Region».
Transparenz und Identität
Die Konsumenten von Thurbobräu können auf eigene Faust dem Braugerstenfeld vor den Toren Wils einen Besuch abstatten. Mittlerweile wird nur noch dort die Gerste angebaut, nicht mehr in allen ursprünglichen Jubiläumsgemeinden. Der Hopfen seinerseits stammt aus Stammheim. Und der Vereinsvorstand sowie die Geschäftsführerin der Sonnenbräu Rebstein stellen sich alljährlich den Mitgliedern an der Vereinsversammlung.
Im Zeitalter der multinationalen anonymen Bierkonzerne ohne Profil und Tradition, aber mit klaren merkantilen Prioritäten, scheint der Gegentrend das Publikum zu mobilisieren und via Bier zusammenführen. «Bier braucht Heimat», heisst das Motto der Sonnenbräu, das auch Thurbobräu benutzt. Und mit der Ursprungserzählung um Rotpald weisst das Produkt eine Geschichte auf, im Zeitalter des Storytellings ein wichtiger Pluspunkt beim Marketing.
Auf die lokale Identität und Verankerung via Bier setzen auch verschiedene Vereine und KMUs in der Region. Ob Gewerbeausstellung, Geschäftseinweihung oder Vereinsfest, Thurbobräu ist vor Ort, und zwar mit einem unübersehbaren Oldtimerfahrzeug, auf dessen rückwärtiger Seite ein Zapfhahn angebracht ist.
Werbung für das Bier dort, wo es auch entsteht - beziehungsweise wächst.
Lokalpatriotismus, Heimatgefühl plus geschicktes Marketing, dies riecht nach einem dicken Geschäft. Simon Lumpert: «Unser Ziel war es von Beginn weg, eine schwarze Null zu schreiben, daran hat sich nichts geändert.» Dass man nicht gross Kasse machen wollte, ist einer der Gründe, weshalb Thurbobräu nicht als Firma, sondern als Verein organisiert ist. Durch einen Verein ist auch die Kunden- und Mitgliederbindung grösser, und: «Ein Verein war auch leichter zu gründen als eine Firma.» Dass bei Thurbobräu der Idealismus weit höher als der Gewinn gewichtet wird, dürfte ein zusätzlicher Publikumsmagnet sein, Stichwort: Abzockerdiskussion.
Gut besuchte VIP-Anlässe
Für ihre alljährlich zu erwerbende Bier-Aktie erhalten die Aktionäre neben einer Einladung zur Hauptversammlung, ihre Dividende in Form eines Coupons für wahlweise zwei Kartons Spezli oder eine Kasten Bügelflaschen. Die reguläre Aktie kostet 45 Franken. «Wer sich noch mehr mit Thurbobräu identifizieren will, kann ein VIP-Aktionär für 100 Franken werden», erläutert der Präsident das Konzept. Dieser Personenkreis wird ein Mal pro Jahr zu einer Betriebsbesichtigung oder dergleichen eingeladen.
Das Wiler Kultgetränk wird unter den Labeln Thurbobräu undHof dunkelin verschiedenen Gaststätten und Verkaufsgeschäften in der Region angeboten. Es ist nicht alleine beim Bier geblieben, seit 2014 wird aus der Braugerste auch Single Malt sowie Whisky mit dem MarkennamenWil Baronin der Säntisblick Destillerie in Niederbüren gebrannt. Simon Lumpert: «Erfolgreich konnte in dieser Zusammenarbeit auch der BierlikörBaronesse` auf den Markt gebracht werden.»
Zusätzliche Erweiterungen des Sortiments sind für die absehbare Zukunft gemäss dem Vereinspräsidenten nicht geplant. Gleichwohl bleiben der Vereinsvorstand innovativ: «Soeben haben wir erfolgreich unseren Relaunch abgeschlossen», erzählt Simon Lumpert. Dies scheint eines der Erfolgsrezepte von Thurbobräu und seinen Machern zu sein, sie füllen eine alte Tradition immer wieder mit neuem Leben.
Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.
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