Kein Schlamassel hat nur einen einzigen Vater - genau so wenig wie der Erfolg. Aber wenn es schief geht, will im Unterschied zum Erfolg keiner allein da stehen. Wie viel Anteil hatten St.Galler Regierungsmitglieder an der heutigen Spitalsituation - amtierende und frühere? Ein Überblick.
Als Ende November 2014 das St.Galler Stimmvolk Baukredite für die Erneuerung mehrerer Spitäler sprach, sah die St.Galler Regierung noch anders aus als heute. Inzwischen ist der eine oder andere abgetreten, und es gab eine Departementsrochade. Keiner dieser Wechsel konnte etwas am Kurs ändern, auf dem der Kanton seit rund fünf Jahren fährt. Auch das Parlament schritt nicht wirklich ein. Letztlich aber trägt die Regierung die Verantwortung für den eingeschlagenen Weg. Deshalb die Frage: Wer war beteiligt - und wie stark?
2004
Die Spitalpolitik im Kanton ist - scheinbar - vor allem eine Gesundheitsfrage. Seit 2004 ist Heidi Hanselmann (SP) für dieses Departement zuständig. Ihr Start erfolgte unter besonderen Vorzeichen: Ihr Vorgänger im Amt, der Rheintaler Anton Grüninger (CVP) war mit der Abwahl dafür bestraft worden, dass er offen sagte, was unausweichlich war (und ist): Spitäler müssen geschlossen werden. Man kann sich vorstellen, was das für seine Nachfolgerin bedeutete: Es gab ohne Zweifel in den ersten paar Jahren als Gesundheitsdirektorin einige Tabuthemen für Hanselmann. Die regionalen Demos zugunsten der Landspitäler und die Abwahl eines ansonsten durchaus populären Gesundheitsdirektors sassen ihr wohl in den Knochen.
Ebenfalls bereits im Amt war damals Baudirektor Willi Haag (FDP). Er war von den Ereignissen rund um Grüninger unberührt. Schliesslich ging es nicht um Bauvorhaben, sondern wenn schon eher um mögliche «Abreissvorlagen». Theoretisch. Das kann aber nur sagen, wer die St.Galler Regierung für eine Technokratenrunde hält, in der sich jeder nur um seinen Bereich kümmert.
Nach 2004
In den nächsten zehn Jahren passierte - zumindest gegen aussen - nichts in der Spitalfrage. Man brauchte vor allem eines: Ruhe im Volk. Erstaunlich genug: Die Probleme, die schon Anton Grüninger ortete, verschwanden ja nicht über Nacht. Hinter den Kulissen wurde an einer neuen Spitalstrategie gearbeitet, die zumindest aus der Sicht der federführenden Heidi Hanselmann möglichst so aussehen musste: Es wird nichts geschlossen. Spätestens ab 2012 zeichnete sich aber ab, dass sich die Probleme akzentuieren. Man plante aber weiter auf den alten Grundlagen.
Der Aktivismus konzentrierte sich auf organisatorische Fragen. Wer damals schon politisch interessiert war, erinnert sich vielleicht an die Marke «Quadriga». Dieses Projekt, aufgeteilt in Quadriga 1 und 2, wurde bereits Ende der 90er-Jahre aufgegleist und beschäftigte den Kanton bis 2006. Es ging darum, dass die insgesamt neun Spitäler in rechtlich selbständige Einheiten überführt wurden, die Spitalverbunde. Sie haben bis heute Bestand.
Die breite Bevölkerung interessierte sich kaum für solche strukturellen Fragen. Aber damals geschah etwas Wesentliches: Die Verantwortung wurde abgeschoben, weg von der Regierung, hin zu den Spitalverbunden. Das eigentliche Grundproblem wurde bis 2014, also satte zehn Jahre nach der Abwahl von Grüninger, nicht wahrnehmbar angegangen. Stattdessen hatte man nun einfach neue Vehikel, die sich darum kümmern mussten. Man hatte offenbar die Illusion, die strukturellen Probleme im Gesundheitswesen liessen sich mit einem neuen Organigramm wegzaubern. Zur Ehrenrettung von Heidi Hanselmann: Quadriga ist nicht auf ihem Mist gewachsen, es wurde ihr quasi mitgegeben.
Was nicht heisst, dass sie es nicht zu verwenden wusste. Denn was hier geschehen war, zeigte sich später wieder und wieder. Wann immer die Regierung für die Situation der Spitäler kritisiert wurde, verwies diese auf die Spitalverbunde beziehungsweise den Lenkungsausschuss seines Verwaltungsrats, der sich nun um Vorschläge kümmern musste. Die Stimmbevölkerung war zu Recht verwirrt: Da hatte sie Baukredite für 800 Millionen Franken in einer kantonalen Abstimmung abgesegnet, nun steht alles in Schieflage - und irgendein Gremium, das niemand wirklich kennt, müsste eigentlich tätig werden - und die Regierung hatte zu warten, bis Vorschläge kamen.
Zumindest für eine Person ging die Rechnung auf: Heidi Hanselmann blieb in all diesen Jahren unangefochten Regierungsrätin. Keineswegs selbstverständlich, denn sie hatte für die SP einen zweiten Sitz geholt und stand einem schwierigen Departement vor. 2014/15 und 2019/20 kam sie zudem in den Genuss des Regierungspräsidiums. Ohne, dass Kritik oder Fragen laut wurden.
2008 wurde der damalige Staatssekretär Martin Gehrer (CVP in die Regierung gewählt und übernahm das Finanzdepartement. Zwei Jahre später kam Beni Würth (CVP) dazu, war zunächst fürs Volkswirtschaftsdepartement zuständig und konnte 2016, als Gehrer sein Amt niederlegte, die Finanzen übernehmen - das er bis heute verantwortet. Das Finanzdepartement war also in der entscheidenden Phase vor und nach der Abstimmung 2014 in CVP-Hand.
2014
Die Abstimmungen vom 30. November 2014 waren technisch gesehen Baukreditvorlagen. Unterbreitet wurden sie aber als Resultat der geplanten Spitalstrategie. Drei Departemente waren hier federführend. Das Gesundheitsdepartement musste schlüssig zeigen, warum die Spitäler baulich erneuert werden und welche Rolle sie danach in der St.Galler Gesundheitslandschaft spielen. Das Baudepartement musste die Bauvorhaben ausarbeiten und die entsprechenden Kredite kalkulieren. Das Finanzdepartement musste dafür sorgen, dass das Ganze bezahlbar ist. Es waren also drei Departemente mit Heerscharen von Experten, die beurteilen mussten, ob die Vorlage das brachte, was sie sollte - und ob sie tragbar waren.
In der Kommunikation wurde darauf geachtet, das Ganze als beliebige Baukredite aussehen zu lassen: Der Kanton braucht Geld, um Bauprojekte zu finanzieren. Dass das zulasten der Spitäler geschah, wurde tunlichst versteckt (wir haben berichtet).
Und wieder treffen wir auf die geteilte Verantwortung. Der damalige Bauchef könnte sich heute auf den Standpunkt stellen, sein Departement habe nur bauliche Fragen prüfen müssen. Der damalige Finanzchef könnte heute sagen, es sei nur seine Aufgabe gewesen, zu prüfen, ob sich der Kanton das Vorhaben leisten kann. Und die Gesundheitsdirektorin könnte sagen, es sei damals ja nur um Bauvorhaben gegangen, nicht in erster Linie um Gesundheitspolitik. So richtig schuld ist niemand. Dabei ging es um 800 Millionen Franken und die Zukunft der Spitäler im Kanton St.Gallen.
Jeweils dabei bei der Präsentation der Spitalprojekte - 2014 und jetzt - war übrigens auch Regierungsrat Stefan Kölliker (SVP). 2014 wohl, weil er Regierungspräsident war, 2019, weil alle grossen Parteien dabei sein sollten, wenn die Regierung ein grosses Vorhaben vorstellt. Inhaltlich hat er mit den Projekten nichts zu tun, mal abgesehen davon, dass auch er Teil der Gesamtregierung ist.
Nach 2014
Von der Riege, welche die Abstimmung 2014 in die Wege leitete, ist heute nur noch Heidi Hanselmann im Amt, und sie geht bekanntlich im Frühling; Willi Haag und Martin Gehrer sind seit einigen Jahren weg. Der aktuelle Finanzchef Beni Würth war damals Volkswirtschaftschef, aber als Teil der Gesamtregierung ebenfalls in der Verantwortung. Die Probleme der Spitäler, die finanzielle Belastung zu stemmen, die ihnen 2014 aufgebürdet wurden, müssten ihn nach dem Departementswechsel 2016 aber ebenfalls beschäftigt haben. Es sei denn natürlich, man findet, das seien eigentlich die Probleme der praktischerweise erfundenen Spitalverbunde. Dass es die Amortisationszahlungen aus den Baukrediten 2014 sind, welche die Spitäler plagen, müsste aber im Finanzdepartement inzwischen aufgefallen sein.
Würth verlässt die Regierung im nächsten Frühjahr ebenfalls. Von den Direktbeteiligten an den Geschehnissen von damals sitzt dann keiner mehr in der Regierung. Wer bleibt, darf aufräumen. Und zwar auf der Grundlage einer neuen Strategie, welche ein Teil der damals Verantwortlichen ausgearbeitet hat.
Eine faszinierende Basis.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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