Dr. Marc Faber ist ein unkonventioneller Experte für Anlagestrategien, Fondsmanager und Buchautor. Er ist Herausgeber des «Gloom Boom & Doom Report» und wurde als pessimistischer Börsenexperte «Dr. Doom» international bekannt.
Dr. Faber wurde 1946 in Zürich geboren. Er absolvierte ein Studium der Wirtschaftswissenschaften und promovierte im Alter von 24 Jahren im Fach Wirtschaftsgeschichte.
Lesen Sie hier den ersten Teil des Interviews.
Sie haben 2017 in einem Ihrer Reports geschrieben „Gott sei Dank haben weisse Menschen Amerika bevölkert und nicht die Schwarzen. Ansonsten würden die USA wie Simbabwe aussehen, was sie eines Tages möglicherweise auch werden“. Das war keine spontane Aussage. Haben Sie denn nicht damit gerechnet, dass Sie mit Ihren Aussagen ein Minenfeld betreten, da dies ein sehr sensibles Thema ist?
Ich habe mir das gar nicht so überlegt vorab, denn ich ging davon aus, dass es einfach eine allgemein bekannte Tatsache ist, dass die Europäer technische Fertigkeiten mit nach Amerika brachten. Aber ich will jetzt hier genau erklären, in welchem Zusammenhang ich diese Aussage gemacht habe:
Die Taliban haben in Afghanistan im März 2001 und schon früher die Buddha-Statuen von Bamiyan zerstört. Damals gab es einen Riesenaufschrei in den westlichen Medien. Aber als dann im Jahr 2017 an verschiedenen Orten ein Konflikt um die Statuen der Südstaaten-Generäle wie Robert E. Lee und Stonewall Jackson sowie des Südstaaten Präsidenten Jefferson Davis ausgebrochen ist, fanden dann die gleichen Journalisten, es sei okay, diese Statuen zu entsorgen.
In Amerika wurden meine Aussagen zu einem Katalysator. Bloomberg war super sauer, dass ich damals Trump öffentlich unterstützte. Der Bloomberg Sender sagte mir, dieser Trump werde ganz Amerika zerstören und ich sagte, naja, es wäre besser, wenn nur Amerika zerstört würde, als die gesamte Welt, wie das vielleicht bei einem anderen Kandidaten oder einer anderen Kandidatin für das Präsidentenamt der Fall gewesen wäre.
Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin kein Trump-Anhänger. Es ist einfach beklagenswert, in einer Demokratie keine bessere Auswahl an fähigen Kandidatinnen und Kandidaten für ein solch wichtiges Amt zu haben. Wenn ich könnte, würde ich heute für Ron DeSantis, den republikanischen Gouverneur Floridas stimmen.
Ich habe mit zwei Freunden über den betreffenden Report aus dem Jahr 2017 gesprochen. Fasil Merawi, ein äthiopischer Philosoph, der an der Universität in Addis Abeba unterrichtet, liess sich Ihre Aussagen ein paar Tage durch den Kopf gehen und meinte danach:
„Ich denke, die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein einzigartiger Staat, der mithilfe von schwarzen Sklaven, der mutigen Vision der Gründerväter und dem unternehmerischen Geist von Geschäftsleuten wie Rockefeller zu dem geworden ist, was sie heute sind. In diesem Kontext finde ich die gemachten Aussagen ziemlich rassistisch, denn sie blenden die Beteiligung von Nicht-Weissen am amerikanischen Wirtschaftserfolg aus“.
Anderseits habe ich mit dem Götti meiner Tochter darüber ausgetauscht; er ist ein Working-Class Puertoricaner und wohnt in Camden, New Jersey. Sein Name ist Jose Mercado, er arbeitet bei einem multinationalen Lebensmittelhersteller. Ich habe auch mal für die gleiche Firma gearbeitet, im Bereich Corporate Social Responsibility. Jose hat in seiner Fabrik in Pennsauken NJ die amerikanischen Arbeiter und Arbeiterinnen während den Pausen gefragt, was diese von Ihren Aussagen halten. Zu seinem Erstaunen war es so, dass die weissen Personen Ihre Aussagen als rassistisch empfanden und die People of Color eher weniger. Einer dieser Arbeiter sagte zu Jose, dass sei eben so ein dahingeworfener Spruch von einem Reichen (er meinte Sie). Das Originalzitat ist „That is just a rich guy speaking rich“.
(lacht) Ja, das ist vielleicht schon so. Aber die meisten E-Mails, die ich danach von Schwarzen erhielt, bestätigten meine Aussagen. Und Sklaverei gab es schon immer in der Menschheit, in praktisch allen Kulturen.
Ich möchte hier noch das Beispiel der Barbaresken-Piraten anführen, ich schreibe gerade an einer Arbeit daran. Der Hintergrund: Mit dem Niedergang der Wirtschaft in den Maghrebländern und der Vorherrschaft der christlichen Staaten im Mittelmeer seit dem 15. Jahrhundert entwickelte sich das Piratentum in den Küstenstädten des Maghreb. Die Zentren der Barbareskenstaaten waren Algier, Tunis und Tripolis. Diese Barbaresken-Piraten überfielen Schiffe der Franzosen, Engländer und Holländer und verkauften die gefangenen weissen Seeleute als Sklaven auf ihren lokalen Sklavenmärkten. Im 19. Jahrhundert setzte dann der Niedergang dieser Barbaresken-Piraten ein, als die europäischen Seemächte wie England, Holland und Frankreich mit ihren Flotten ein paar Mal die wichtigsten Städte der Barbaresken unter Kanonenbeschuss nahmen. Übrigens bauten die USA ihre ersten Kriegsschiffe der US Navy, um Krieg gegen die Barbaresken-Piraten zu führen. Die USA führten zwei Kriege zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit den Barbaresken.
Ihre "Gloom Boom & Doom Reports" sind ausgesprochen fundiert recherchiert. Ein pensionierter CEO/Chairman einer Fortune 500 Company hat einige davon gelesen, da ich nichts von Finanzmärkten verstehe. Seine (hier verkürzte) Rückmeldung war: „Dieser Faber ist fachlich brilliant“.
Danke. Ich will nochmals auf den Kapitalismus zu sprechen kommen. Am Ende des 19 Jahrhunderts und Anfangs des 20. Jahrhunderts betrugen die Staatsausgaben in Europa und Amerika maximal 12 Prozent des Bruttosozialproduktes. Unter dem Einfluss der Sozialisten stiegen die Staatsausgaben in gewissen Ländern auf bis zu 60 Prozent des Bruttosozialproduktes.
Die Sozialisten kennen kein Limit bei den Ausgaben. Wenn sie bei 100 Prozent angelangen, dann haben sie eine Staatswirtschaft, also quasi alles wird dann Staatseigentum. Als Beispiel wären da der Kommunismus in Russland oder China zu nennen. Die Wirtschaft ist dann hundertprozentig der Staat, es gibt keine Privatwirtschaft mehr.
Das wünsche ich allen Schweizer Sozialisten, in so einer Staatswirtschaft zu wohnen bzw. sie hätten damals in China oder Russland wohnen sollen. Das war wirklich ein Elend da. Ich habe damals Russland und China besucht, aber die meisten Sozialisten von heute wollen das nicht wahrhaben, wie katastrophal das war. Die Menschen standen stundenlang für verdorbene Tomaten und Kartoffeln auf dem Markt an, ich habe das mit eigenen Augen gesehen. Diese erbärmlichen Zustände wurden durch Regierungseingriffe geschaffen.
Sie sagten zu Beginn des Interviews, dass diese Eingriffe unter dem Einfluss der Gesellschaft bzw. unter dem Einfluss der reichen Leute dieser Staaten stattfanden. Das stimmt weitgehend, aber das Problem in solchen Systemen ist, dass der Staatsangestellte dann quasi verfault und seine Finger nur bewegt, wenn er Korruptionsgeld dafür erhält.
Hun Sen, der langjährige Premierminister von Kambodscha hat eine lockere Erklärung dafür parat. Ich bin mal zufällig auf einer Konferenz über Korruption in Kambodscha gelandet, weil sie in meinem Hotel stattfand. Ich bin da also reingesessen und der kambodschanische Premierminister hat gesprochen. Er wurde dann von einem Geschäftsmann unterbrochen, der gesagt hat, wenn man etwas von einem kambodschanischen Beamten will, müsse man immer bezahlen, sonst könne man jahrelang auf sein Anliegen warten. Hun Sen nahm die Störung ziemlich cool und antwortete trocken darauf, ja das sei so. Beamte müssten halt eben bezahlt werden und der Geschäftsmann wolle ja etwas vom Staat.
Das ist ziemlich kreatives Reframing.
Ja, aber ich will aber noch einen Gedanken anbringen. Korruption gibt es auch in der Schweiz. Es gibt Erhebungen und Statistiken über Korruption, bei denen die kleinen Länder besser wegkommen als die Grossen. Auch Nordeuropa kommt gut weg. In der Mitte sind die USA und die korruptesten Länder sind ja bekannt. Ich will sie nicht nennen, sonst heisst es wieder, ich sei ein Rassist. In einem ganz ehrlichen Land werden vielleicht mal fünf Prozent gestohlen von den Regierungsbeamten, in einem ganz unehrlichen Land werden 90 Prozent von den Regierungsbeamten gestohlen.
Da bleibt nicht mehr viel Geld für die Infrastruktur des Landes übrig.
Es gibt ja diesen Witz: Zwei Freunde studieren zusammen, sagen wir in London, der eine kommt aus einem Land mit wenig Korruption, der andere kommt aus einem Land mit viel Korruption. Beide werden Regierungsbeamte. Kommt der aus dem Land mit viel Korruption den anderen im Land mit wenig Korruption besuchen und sagt: „Ah, Du hast ein schönes Büro. Wie hast Du das finanziert?“. Da zeigt der Beamte auf eine Brücke: „Siehst Du die Brücke? Damit ich habe ich meine schöne Büroeinrichtung finanziert, ich habe ein paar Kickbacks bekommen“. Zwei Jahre später dann die umgekehrte Version, der Beamte aus dem Land mit wenig Korruption besucht den ehemaligen Studienfreund im Land mit viel Korruption. Da sagt der eine zum anderen: „Ja, hast Du aber ein schickes Büro und ein tolles Haus und mir gefällt auch Dein Porsche. Aber sag mal, wie konntest Du Dir das alles leisten mit Deinem kleinen Lohn?“ Da sagt der Beamte: „Guck mal aus dem Fenster. Siehst Du die Brücke?“ „Nein, da ist keine Brücke.“ „Genau, ich sehe auch keine, weil nie eine Brücke gebaut wurde.“
In der Schweiz läuft Korruption diskreter ab.
Natürlich, dort wo Sie herkommen heisst Korruption einfach Vetterliwirtschaft. Man stellt halt Leute ein, die man kennt oder alte Freunde bekommen Aufträge zugeschanzt. Oder gucken Sie sich doch mal am Paradeplatz um, bei den Banken. Der Kapitalismus hat sicher viele Fehler, aber er wurde viel schlimmer durch die Eingriffe der Staaten.
Covid ist ein extremer Fall eines Staatseingriffes, es hat die kleinen Geschäfte betroffen, die mussten schliessen. Das ist das, was ein früher amerikanischer Präsident, also John Adams, vor langer Zeit mal gesagt hat: „Es gibt zwei Wege jemanden zu unterwerfen, es geht durch das Schwert oder durch Schulden“. Oder eben durch ein Abhängigkeitsverhältnis, dass man eben zum Beispiel den Lohn oder sonst wie eine Entschädigung vom Staat bekommt.
Ich will jetzt noch etwas sagen: Während des Lockdowns in Thailand konnten die 7-Eleven (Supermarktgruppe mit fast 12‘000 Quartierläden) einfach offenbleiben, während alle anderen Geschäfte schliessen mussten, vor allem die der kleinen Gewerbetreibenden.
Die 7-Eleven in Thailand gehören ja der CP Group.
Ganz genau. Charoen Pokphand. Das sind weit und breit die reichsten Leute und die hatten sicher keine schlechten Beziehungen zu den Stellen des Staates, der die Lockdownmassnahmen anordnete.
Aber eines erwähne ich in jedem Interview: Ich rede quasi aus zwei Perspektiven. Die eine Betrachtungsweise ist als kapitalistischer Anleger und die andere Sichtweise ist mein Glaube, dass jeder und jede arbeiten sollte, um die zugeteilte Rolle in der Gesellschaft zu erfüllen. Bei mir gibt es keine Ausrede, keinen Betrag zur Gesellschaft zu leisten.
Welchen Klassiker der Wirtschaftsliteratur empfehlen Sie mir?
Ein Buch, dass Sie lesen sollten ist: „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“, ein in den vierziger Jahren veröffentlichtes Werk von Joseph Schumpeter. Das ist übrigens kein Strandbuch. Nun, Sie können ja auch eine Zusammenfassung lesen. Bekannt geworden aus diesem Buch ist der Begriff der „schöpferischen Zerstörung“, also auf Englisch „Creative Destruction“, den ich eingangs schon mal erwähnt habe.
Diese schöpferische Zerstörung ist das Kernelement des kapitalistischen Fortschritts. Trotzdem wird der Kapitalismus laut Schumpeter eines Tages zu Grunde gehen. Nicht auf Grund wirtschaftlicher Fehlschläge und auch nicht wegen einer kommunistischen Revolution, sondern den Kapitalismus wird schlussendlich sein eigener Erfolg umbringen.
Haben Sie eigentlich mal Homo Faber von Max Frisch gelesen? Sie heissen ja Faber.
Ja, richtig.
Es geht im Buch um einen fortschrittsgläubigen Technokraten, der durch extrem schicksalhafte Ereignisse dazu veranlasst wird, sein rein rationalistisches Weltbild in Frage zu stellen und Platz für Kunst, Gefühl und Magisches in seinem Leben zu machen, doch das bleibt ihm wegen einer tödlichen Krankheit leider versagt.
Es ist eine komplizierte Welt, in der wir leben.
Marcel Emmenegger ist Sozialarbeiter und wohnt in Herisau.
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