Wenn Sie sattelfest in Englisch sind und eine Liebe zu wissenschaftlichen Büchern haben, empfehle ich Ihnen das Buch «Convergence» von Peter Watson, das es bisher nicht in deutscher Übersetzung gibt.
Es handelt von der Chronologie der wissenschaftlichen Entdeckungen, und wie sich die verschiedenen Wissenschaften gegenseitig befruchtet haben. Im Hinblick auf Corona ist das Kapitel über vergleichende Anthropologie sehr spannend.
Die alte Welt (also unsere) wurde zum Zentrum monotheistischer Kulturen, in denen Menschenopfer abgeschafft wurden. Die grosse Gefahr kam vom Klima, einer schleichenden Gefahr für die Fruchtbarkeit, mit nur einzelnen plötzlichen Katastrophen. Meistens haben die Gebete der geistlichen Führer deshalb gereicht und nach einer Katastrophe wurde es wieder besser. Die Gebete haben gewirkt. Es bedurfte keiner Menschenopfer, um die Gunst der Götter zu erlangen.
Süd- und Mittelamerika wurde in den Jahrhunderten vor der spanischen Eroberung aber von dramatischen Naturkatastrophen heimgesucht, die durch Gebete nicht zu besänftigen waren: Erdbeben, Vulkanausbrüche, Hurricanes. Da Gebete nicht reichten, wurden die Menschenopfer mit jeder Katastrophe, welche die Autorität der geistigen Führer in Frage stellten, noch extremer.
Die spanischen Conquistadores, die selber auch nicht gerade zart besaitet waren, sind erblasst, als sie miterlebten, wie in einem Ritual auf den aztekischen Pyramiden 20 000 Gefangene geopfert wurden, indem ihnen mit einem Obsidian-Messer der Thorax eröffnet und das Herz herausgerissen wurde. Natürlich ohne Anästhesie. Vier Tage floss das Blut dieser 20'000 Menschen in Strömen über die Stufen der Pyramiden hinunter. Um Naturgewalten zu besiegen haben die Ureinwohner also einen enormen Blutzoll bezahlt. Das Lebensgefühl der Indianer dürfte nicht sehr euphorisch gewesen sein, zumal, wenn Gefangene fehlten, eben Opfer aus den eigenen Reihen herhalten mussten.
Und die zu Beginn militärisch sehr schwachen Spanier wurden bei ihrer Ankunft als Retter, als Götter aus dem Jenseits, vielleicht als Befreier gefeiert nach dem Motto: schlimmer geht nimmer. Eine Hoffnung, die nicht lange hielt.
Was hat das mit uns zu tun, werden Sie sich fragen. Dieser Splitter trägt ja den Titel: vergleichende Antropologie. Also vergleichen wir: Um die Naturgewalt Corona zu besänftigen, wurde auf der ganzen Welt die Freiheit aller Menschen geopfert. Okay, es war ja nur die Freiheit, und nicht das Leben, könnte man meinen, wenn man nicht so genau hinschaut. Aber in der armen Welt sind durch die Wirtschaftskrise Menschen in Hungersnot geraten, selbst kleinste Reserven, die vielleicht gereicht hätten, um ein lebensrettendes Antibiotikum mit einem Fünfliber zu bezahlen, waren weg. Der Hunger schwächte die Gesundheit. Und Schätzungen beziffern die deshalb gestorbenen auf 30 Millionen Menschen weltweit. 4 Millionen sind an Corona gestorben. Alle andern hat der Lockdown gerettet. Dafür sind 30 Millionen an den Folgen des Lockdowns gestorben.
Dabei handelt es sich um Menschenopfer. Wir haben versucht, die Naturgewalt zu besänftigen und dafür Menschen in armen Ländern geopfert, die uns nichts angehen, wie die Azteken ihre Kriegsgefangenen.
Der Mensch ist in erster Linie ein psychologisches Wesen. Dass wir genau deswegen beinahe gleich funktionieren, wie die alten Azteken: hätten Sie das für möglich gehalten?
Bitte beachten Sie: Sowohl die Naturkatastrophen als auch die Mittel des Kampfes gegen diese Katastrophen haben Opfer gefordert. Bei den Azteken starben Menschen in den Erdbeben und andern Katastrophen, aber auch wegen der Gegenmassnahmen in Form von Massenopfern. Bei uns sterben Menschen an der Naturkatastrophe, also an Corona, (4 Millionen) aber auch wegen der Gegenmassnahmen, 30 Millionen weltweit allein wegen Folgen des Hungers, und bei uns sind vermehrt Suizide zu beobachten, Menschen konsumieren mehr Suchtmittel, bewegen sich weniger und erkranken dadurch schneller als sonst und verkürzen ihre Lebenserwartung.
Den Spaniern war es recht, was die Azteken trieben, so geschwächt wie sie waren, konnten sie ganz einfach übernommen werden. Den Chinesen wird es wohl auch recht sein, was wir treiben.
Sie mögen nun kritisieren: Aber die Chinesen, die ich als Siegerkultur bezeichne, haben selber ja auch Lockdown gemacht. Also, wo lag denn ihr Vorteil? Nun es ging um die Relation, also die Verhältnismässigkeit. Anders als bei uns waren Chinas Massnahmen verhältnismässig. Chinas Wirtschaft ist durch die Coronakrise gewachsen. China hat wenig geopfert und viel gewonnen. Das schmälert ihren Erfolg wohl nicht, sondern fördert eben Zucht und Ordnung deutlich effizienter als bei uns. Natürlich wird bei uns Zucht und Ordnung auch gefördert, indem unsere Regierung Journalisten und Wissenschaftlern klar macht: Schreib was Du willst, solange es uns gefällt, wirst du auch deine Familie ernähren können. Diese Grosszügigkeit hat einen ungemein disziplinierenden Nebeneffekt, wie ich selber als stv. Kantonsarzt erleben durfte. Hätte ich meine Familie als Kantonsarzt ernähren müssen, gäbe es keine Corona-Splitter.
Wir sind also bei weitem nicht die erste Hochkultur, die sich selber schwächt und damit zu einem neuen Gleichgewicht zwischen den Hochkulturen führt. Es braucht nicht immer starke Feinde von aussen in Form von Spaniern oder Chinesen. Es genügen Aberglaube, Verkennung von Zusammenhängen, Angsthasen und machtaffine Aktivisten im Innern.
Ceterum censeo:
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Rainer Fischbacher ist Arzt in Herisau und ehemaliger Ausserrhoder Kantonsarzt.
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