Nicht mehr die kantonalen Parlamente bestimmt die Spitalpolitik der Ostschweizer Kantone, sondern ein gemeinsames Gesundheitsparlament. Diese Vision ist fast zehn Jahre alt - und wird nun wieder aktuell.
Kantonsübergreifende «Funktionskantone» übernehmen in der Ostschweiz einzelne Staatsaufgaben anstelle der einzelnen Kantone. Diese Idee ist nicht neu. Sie stammt aus dem Jahr 2009. Der Absender: Die Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell (IHK). Sie stellte den Vorschlag im Papier «Die Ostschweiz - eine attraktive Region mit Schwächen» zur Diskussion.
Eine Diskussion, die allerdings ausserhalb der direkt betroffenen Kreise kaum geführt wurde. Denn wie so oft legte die IHK vor fast zehn Jahren eine Vision vor, auf welche die Politik nicht vorbereitet war - oder die sie nicht näher anschauen wollte. Passiert ist seither jedenfalls nichts. Aber ebenfalls wie so oft erhält eine IHK-Idee aus der Vergangenheit plötzlich wieder aktuelle Brisanz.
Denn die IHK nennt in ihrem Papier zwei Handlungsfelder, in denen ein gemeinsames Vorgehen sinnvoll sein könnte. Ihnen ist gemeinsam, dass sie beide wichtig für die Region, gleichzeitig aber kostenintensiv sind, was Bauten und Personal angeht. Konkret könnten die sogenannten Funktionskantone gerade in der Gesundheitspolitik eine massgebliche Rolle spielen.
Die Spitaldichte in der Ostschweiz ist erwiesenermassen (zu) hoch. 2009 stellte die IHK fest, dass sich in zehn Kilometern rund um die Stadt St.Gallen drei Zentrumsspitäler befinden. Das sei das Ergebnis einer Spitalpolitik, «die Grundsatzfragen nicht im Interesse der Patienten und der Steuerzahler, sondern nach regionalpolitischen Gesichtspunkten beantwortet.»
Und solange die einzelnen Kantone ihre Spitallandschaft gestalten, dürfte sich zumindest im grossen Stil nichts daran ändern. Die Funktionskantone nach der Vision der IHK orientieren sich an Wirtschaftsräumen, nicht an Kantonsgrenzen.
Als Idee wird ein Gesundheitskanton Ostschweiz mit den beiden Appenzell, Thurgau und St.Gallen in den Raum gestellt. Sollten andere Regionen auch au den Geschmack kommen, sei es aber beispielsweise möglich, dass die Spitäler Grabs und Walenstadt in einen Gesundheitskanton Graubünden integriert werden.
Die kantonale Hoheit würde in diesem Modell also keine Rolle mehr spielen. Entscheidend wären die Bedürfnisse der Bevölkerung als «Kunden einer Spitalregion.» Beschlüsse würde ein neu zu bildendes Gesundheitsparlament für diese Region fassen, eine Gesundheitsdirektion wäre für die Führung der Verwaltung zuständig.
Damit würden die Vorsteher der kantonalen Gesundheitsdirektionen überflüssig. Die vier Kantonsparlamente würden eine gewisse Macht behalten: Sie könnten gemeinsam das Gesundheitsparlament bestimmen und mit einem Globalbudget den Finanzjahren des Gesundheitskantons definieren.
Mit dem oft zitierten «Kanton Ostschweiz» hat dieses Modell nichts zu tun. Er wird im Papier der IHK als wenig zielführend bezeichnet. Die Herausforderung sei die Fragmentierung des Gebiets. Als Beispiel wird das Linthgebiet genannt, das mit der Stadt St.Gallen kaum Gemeinsamkeiten hat, noch weniger aber beispielsweise mit Kreuzlingen. Eine Fusion zu einem Grosskanton löse dieses Problem nicht.
Dass die IHK-Vision von 2009 in dieser Form doch noch aufs Tapet kommt, ist unwahrscheinlich, jedenfalls nicht in nächster Zeit. Zwar gibt es diverse Vorstösse in St.Gallen und Ausserrhoden, die fordern, die Zusammenarbeit über Kantonsgrenzen hinaus zu prüfen. Die Schaffung eigentlicher Funktionskantone geht aber weit über den möglichen Ansatz aus, auf das eine oder andere Spital zu verzichten und dafür mit dem Nachbarn zusammenzuarbeiten. Und die Mühlen der Politik mahlen bekanntlich langsam.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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