Im wundervollen Hörbuch «Das Kaffee der Existenzialisten» von Sarah Bakewell bin ich 2018 erstmals der Philosophie von Martin Heidegger begegnet. – Die neueste Ausgabe der «Corona-Splitter» von Rainer Fischbacher.
Sein Hauptwerk «Sein und Zeit», so kritisieren viele, die die Mühe auf sich genommen haben, dieses Werk zu lesen, sei diffus und schwer verständlich, für wenige auserwählte Geister bestimmt, und doch übt es noch immer eine grosse Faszination aus.
Er war der Philosoph des Seins. Die Seinslehre, Ontologie, beschäftigte ihn vordringlich in 4 Qualitäten. Diese sind :
1. das selbst-sein,
2. das man-sein,
3. das mit-sein und
4. das dem Tode zugewandt-sein.
Man-sein und selbst-sein bilden ein Gegensatz-Paar. Um ein selbst-sein zu erreichen, postuliert Heidegger die Fähigkeit, Engagement zu zeigen, Entscheidungen treffen zu können, und sich so aus dem blossen man-sein zu lösen. Zentral war für Heidegger das Bewusstsein der Endlichkeit und die Bezogenheit auf die aktuelle geschichtliche und geographische Situation. Die Endlichkeit soll sich im hingewandt-sein zum Tode manifestieren. Ein weiterer Seinsbegriff war für Heidegger eher nur theoretisch zentral: das mit-sein. Das Mit sein könnte bedeuten «mit den andern und für die andern» zu sein.
Wenn wir uns nun die Zeit vorstellen, in der Martin Heidegger als Philosophiedozent gewirkt hat (1922-1934), dann verstehen wir, wie gut die Ideen Heideggers ihn befähigt haben könnten, in dieser schwierigen Zeit Verantwortung zu übernehmen, zu erkennen dass ein wahres charakterstarkes selbst- sein nun verlangt hätte, vom massenpsychologischen man-sein der NSDAP Abstand zu nehmen und das mit-sein ihn befähigt hätte, für verfolgte Kollegen vor allem jüdischer Abstammung einzustehen. Das hingewandt-sein zum Tode hätte ihn sogar befähigen können, für das mit-sein den Märtyrertod zu akzeptieren. Doch zu faszinierend war die Ausstrahlung der starken Männer mit ihrer geballten politischen Macht, deren Propagandamaschinerie, der Ruf nach Verantwortung und Engagement für den Staat, Engagement nicht etwas für alle, nur für die richtigen.
Und so erfahren wir vielleicht mit etwas Verwunderung, dass ein in Wirklichkeit ziemlich narzisstisch geprägter Heidegger sich an der Machtfülle berauscht hat, gerne als Repraesentant der neuen Regierung diente, das selbst-sein in der aktuellen Zeit und Geographie als Engagement für die NSDAP uminterpretiert hat, quasi als höheres Ziel, welches dem selbst erlaubt hat, das gemeine man-sein der Andersdenkenden zu verlassen. Und ein mit-sein hat Heidegger nie empfunden als Hilfe für Unterdrückte, sondern als mit-sein mit dem geistigen Mainstream. Auch das hingewandt-sein zum Tod sollte seine höchste Bestimmung nicht im Märtyrertod finden sondern im Kadavergehorsam für den Führer. Simone Weil attestierte Heidegger immerhin keinen schlechten Charakter, natürlich auch keinen guten, sondern er hatte, so meinte sie, eigentlich gar keinen Charakter!
Dies ist also die Ausgangslage. Martin Heidegger, der Mann ohne Charakter. Aber der Titel des Corona-Splitters beinhaltet noch einen weiteren, diesmal zeitgenössischen Philosophen: Richard David Precht.
Machen Sie sich mit mir auf Spurensuche: Sein neustes Werk heisst «von der Pflicht». Finden sich Gegensätze und Gemeinsamkeiten mit Martin Heidegger?
Narzisstische Züge, die es lieben, als Repraesentant einer starken Mehrheit aufzutreten? Jeder, der R.D.Precht schon mal im Fernsehen gesehen hat, kann sich das seine dazu denken.
Engagement zählt nur, wenn es für die aktuelle Regierung ist, denn Regierung und Staat haben höhere Ziele, denen wir uns bedingungslos unterordnen müssen? Dafür stehen Heidegger und Precht.
Auch das mit-Sein hat für Precht eine grosse Bedeutung. Er verfügt zweifellos über das theoretische Rüstzeug, um zu realisieren, dass die Zeit reif ist für ein mit-sein mit notleidenden. Aber es fehlt ihm das Augenmass, um zu realisieren, wo die Not wohnt. Statt dessen ist er mit dem Mainstream. Mit sein zählt nur, wenn es ein «für die richtigen sein» bedeutet, für die Spezialisten und Politiker, die uns sagen, was richtig ist, für jene sein, die er als schützenswert erachtet, und nicht etwa für alle. Und schon gar nicht für jene, die wegen der Einschränkungen leiden müssen.
Heidegger und Precht passen in den drei Seins-Kategorien des selbst-seins, man-seins und des mit-seins also recht gut zueinander.
Und das «hingewandt sein zum Tod»? Fehlt das bei Precht? In der Tat hat sich Precht radikal vom Tod abgewandt. Er möchte allen alten und kranken Menschen durch Diktat eines staatlichen Schutzes ewiges Leben schenken und damit wird er geradezu zum Leugner des Todes. Der Staat schützt uns vor dem Tode. Auch dass gesunde junge Menschen durch repetitives Impfen mit Medikamenten im Versuchsstadium Schaden nehmen könnten bis hin zu Todesfolgen streitet er kategorisch ab. Er bleibt so der Verdrängung des Todes treu, während Heidegger den Tod als zu bezahlenden Preis im Dienste der guten Sache sieht. So erspart sich Precht diese unangenehme Auseinandersetzung. Und er findet es gut, dass zu diesem Thema keine freie Diskussion stattfindet. Das wäre verantwortungslos.
Und so wiederhole ich, weil es so gut passt, was ich zuvor über Martin Heidegger geschrieben habe, aber diesmal über Richard David Precht:
«Doch zu faszinierend war die Ausstrahlung der starken Männer mit ihrer geballten politischen Macht, deren Propagandamaschinerie, der Ruf nach Verantwortung und Engagement für den Staat, Engagement nicht etwas für alle, nur für die richtigen.»
Ich beende diesen Splitter mit 4 Feststellungen:
1. Ich werde nie Fan sein von Martin Heidegger
2. Ich war einmal ein Fan von Richard David Precht
3. Ich werde nie mehr Fan sein von Richard David Precht
4. Mir tun all jene Leid, die am 28.11.2021 für eine Schweiz einstehen, die sich nur noch um die Richtigen kümmert.
Rainer Fischbacher ist Arzt in Herisau und ehemaliger Ausserrhoder Kantonsarzt.
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